Sieben Alte Meisterinnen, vier Neuzuschreibungen

Veröffentlicht von

Im Dorotheum hängen momentan fast so viele Gemälde von Alten Meisterinnen wie im gesamten Kunsthistorischen Museum (KHM). Angesichts des Umfangs an Exponaten altmeisterlicher Malerei da wie dort – die Gemäldegalerie des KHM erstreckt sich über viele Säle, das Dorotheum bespielt damit derzeit einen Bruchteil der Präsentationsräume – erscheint mir das schon etwas skurril.

Fünf Prozent sind viel

Doch man muss es mit Zuversicht sehen. Acht Bilder von sieben Malerinnen aus dem 16. und 17. Jahrhundert kommen am 3. Mai in der 140 Lots umfassenden Altmeister-Versteigerung des wichtigsten Auktionshauses Österreichs zum Aufruf. Im Katalog folgen die sieben Lose aufeinander, auch im Layout hervorgehoben unter dem Titel „Old Mistresses“. Es ist ein Anteil von fünf Prozent – man muss sagen: in dieser Sparte fast schon aufsehenerregend hoch. 

Zugeschrieben an Giovanna Garzoni Schätzwert: EUR 25.000,- bis EUR 35.000,- (Ascoli Piceno 1600–1670 Rom) Pfirsiche, Pflaumen, Kirschen, Rosen und weitere Früchte in einer metallenen Schale auf einem Steinsims, Tempera auf Velin, auf Holz aufgezogen
Giovanna Garzoni (zugeschrieben): Pfirsiche, Pflaumen, Kirschen, Rosen und weitere Früchte in einer metallenen Schale auf einem Steinsims, Tempera auf Velin, auf Holz aufgezogen, 29 x 39,3 cm, (c) Dorotheum

Was können die Betuchten unter uns hier erwerben? Ein großartiges, pastelliges Stilleben, das Giovanna Garzoni zugeschrieben wird (Schätzwert: 25.000 bis 35.000 Euro). Eine Heilige Katharina von Orsola Maddalena Caccia, einer Klosterschwester (20.000 bis 30.000 Euro). Eine Judith von Fede Galizia, mit 200.000 bis 300.000 Euro am höchsten geschätzt. „Abraham und die drei Engel“ der – tata! – hier gern abgefeierten Artemisia Gentileschi, für den sie auch ihren Mitarbeiter Onofrio Palumbo einspannte. Eine sehr schöne Heilige Familie von Barbara Longhi, die Vasari in seinen „Vite“ euphorisch lobte, als sie noch ein junges Mädchen war (30.000 bis 40.000 Euro). Eine etwas kränklich aussehende, aber unverdrossen die Geige spielende Heilige Cäcilia von Diana de Rosa (ebenfalls 30.000 bis 40.000 Euro). Und zwei wunderschöne Blumenstilleben von Elisabetta Marchioni, deren einzelne Elemente farbstark aus dem dunklen Grund hervorblitzen (20.000 bis 30.000 Euro). 

Fede Galizia (1578-1630) Judith mit dem Kopf des Holofernes, Öl auf Leinwand, 127 x 95,5 cm, Schätzwert € 200.000–300.000
Fede Galizia (1578-1630): Judith mit dem Kopf des Holofernes, Öl auf Leinwand, 127 x 95,5 cm © Dorotheum

Femizid mit Fragezeichen

Es ist wahnsinnig interessant, über die Werke, aber auch das Leben der Künstlerinnen im Katalog nachzulesen (online auch hier verfügbar). Diana de Rosa wurde offenbar Opfer eines Femizids – ihr Mann soll sie aus Eifersucht umgebracht haben, so behauptete jedenfalls ihr Biograf; zeitgenössische Forschungen widersprechen dem allerdings. Über Elisabetta Marchioni weiß man wenig, nicht einmal ihre Lebensdaten (obwohl es einen Biografie gibt, wie aus dem Text im Katalog hervorgeht). Nur ein einziges weiteres Gemälde ist ihr zugeschrieben. Giovanna Garzoni hat die Früchte ihres Stillebens durch dicht an dicht gesetzte Punkte dargestellt, da fällt mir natürlich sofort der Pointillismus ein. Ob Lexika der Moderne darauf hinweisen? Ich bezweifle es.

Orsola Maddalena Caccia sicherte mit ihrer Werkstatt, die sie ein halbes Jahrhundert in ihrem Kloster betrieb, dessen Existenz. Artemisia Gentileschis Werkstatt wiederum war eine Art Talentepool, aus dem zahlreiche Newcomer künstlerisch hervorwuchsen. Und, was ich auch interessant finde: Ihr Name stand seinerzeit mehr für „einen konzeptuellen und qualitativen Standard“, so der Katalog, als tatsächlich für die Garantie der Eigenhändigkeit eines Gemäldes. Also als eine Art Label – sehr modern.

© Dorotheum
Artemisia Gentileschi (1593-nach 1654) und Onofrio Palumbo (1606 – circa 1656) Abraham und die drei Engel, Öl auf Leinwand, 144,5 x 200,8 cm © Dorotheum

Fehlzuschreibungen

Am auffälligsten ist jedoch: Vier der sieben Lose sind Zuschreibungen jüngeren Datums. Die männlich dominierte Kunstgeschichte, das ist nichts Neues, hielt Werke von Künstlerinnen häufig für solche ihrer männlichen Kollegen, bis heute – aus welchen Gründen auch immer: meist wohl, weil man es Frauen einfach nicht zugetraut hatte. Oder weil ihre Namen sukzessive verdrängt wurden und man daher gar nicht auf die Idee kam, ein Werk einer bestimmten Künstlerin zuzuschreiben. So galt das Stilleben Garzonis als Gemälde ihres Kollegen Octavianus Monfort. Allerdings sei eine „Ausführungsqualität“ wie die dieses Bildes „bei Werken Monforts in der Regel nicht gegeben“, so der Katalog. Die Szene von Artemisia Gentileschi und Onofrio Palumbo galt noch 2014 als Bernardo Cavallino. Die Heilige Cäcilie von Diana de Rosa wurde ihrem Bruder zugeschrieben, und die Komposition von Barbara Longhi ihrem Kollegen Perino del Vaga. 

Revisionsbedürfnis

Diese Malerinnen wurden beauftragt von bedeutenden Familien, vom Adel, vom Hof. Sie arbeiteten erfolgreich in ihrem Metier, waren in ihrer Zeit bekannt und Teil des Kunstlebens ihrer Epoche. Trotzdem sind viele von ihnen heute wie verschüttet. Erst in den vergangenen Jahrzehnten, verstärkt vielleicht seit zehn, zwanzig Jahren, erforschen Kunsthistorikerinnen, seltener Kunsthistoriker, das Schaffen Alter Meisterinnen intensiver. Sie präsentieren es in Ausstellungen. Dadurch lassen sich besser Querverbindungen ziehen, und es zeigt sich, dass es ein Revisionsbedürfnis gibt: denn erst das, was der Forschung bekannt und publiziert ist, bietet die Möglichkeit zum Vergleich und damit dazu, weitere Fehlzuschreibungen zu korrigieren.

Orsola Maddalena Caccia (1596-1676) Heilige Katharina von Alexandrien, Öl auf Leinwand, 100 x 72 cm,
Orsola Maddalena Caccia (1596-1676) Heilige Katharina von Alexandrien, Öl auf Leinwand, 100 x 72 cm (c) Dorotheum

Mehr falsche Männer als richtige Frauen

Im Dorotheum-Offert der weiblichen fünf Prozent hat man zuvor mehr Lose fälschlich Männern zugeschrieben als korrekt Frauen: Sollte uns das nicht zu denken geben? Denn wenn das so oft geschah, welche Schlüsse müssen wir dann in Hinblick auf das gesamte Oeuvre von Künstlerinnen – und Künstlern – ziehen? Was bedeutet es, wenn ein Werk für das eines Malers gehalten wird, der eigentlich diese, wie es in der Fachsprache heißt, „Ausführungsqualität“ gar nicht drauf hatte? Müssten nicht ziemlich viele Gemälde in Museen und Sammlungen noch einmal diesbezüglich unter die Lupe genommen werden (ich weiß, die Ressourcen fehlen)? Auch die vielen Werke, von denen nur die Schule – also: lombardisch, neapolitanisch und so weiter – bekannt ist? 

Vielleicht sind ja zahlreiche Kompositionen ohne Zuschreiben in Wirklichkeit von Frauen. Und vielleicht hängen sogar im Kunsthistorischen Museum ja doch mehr Gemälde von Alten Meisterinnen – und es weiß einfach niemand.

PS: Das ist der 100. Beitrag dieses Blogs, den ich seit 2018 betreibe und der nach wie vor kosten- und werbefrei ist. Leider kann ich aus zeittechnischen Gründen bei weitem nicht so viele Beiträge verfassen, wie ich gern würde. Denn das Feld ist weit und begeistert mich noch immer. Daher freue ich mich, wenn ihr artemisia.blog weiterempfehlt, getreu dem Motto: Weil wir nicht weniger, sondern mehr Feminismus brauchen.

P.P.S.: Mit dem umtriebigen Kunsthändler, Talk-Veranstalter und Podcaster Alexander Giese sprach ich kürzlich über den vorletzten Beitrag auf diesem Blog; hier könnt ihr das Interview nachhören.

Rosen, Anemonen, rote Nelken, Schneeballen und weitere Blumen in einer Urne; und Rosen, Anemonen, Tulpen, Nelken, Schneeballen und weitere Blumen in einer Urne, Öl auf Leinwand, je 110 x 146 cm, gerahmt, Pendants (2)
Elisabetta Marchioni: Rosen, Anemonen, rote Nelken, Schneeballen und weitere Blumen in einer Urne; und Rosen, Anemonen, Tulpen, Nelken, Schneeballen und weitere Blumen in einer Urne, Öl auf Leinwand, je 110 x 146 cm, gerahmt, Pendants (c) Dorotheum

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.