„Kunst von Frauen muss feministisch sein, um wahrgenommen zu werden.“ Tatsächlich, es stand da so. Es steht noch immer da. Und es ist nicht anzunehmen, dass sich die Buchstaben dieses Vorspanns demnächst umformieren zu einem sinnvollen Satz. Nein, es folgt sogar ein weiterer, ebenso abstruser: „Das ist geradezu diskriminierend.“
Feministische Kunst = Peniskunst
Das schreibt nicht irgendein Roger-Köppel-Dietrich-Mateschitz-Erzeugnis, sondern die NZZ, dieses Flaggschiff der Qualitätspresse, das den österreichischen Journalist*innen immer vorgehalten wird als Goldstandard, von dem man hier zu Lande weit entfernt sei. „Laut und voller Sex“ lautet die Headline eines Artikels, der vorigen Samstag erschien. Online heißt es dann noch: „Die einseitige Perspektive der Gegenwart blendet das Schaffen von Frauen aus, die gute Kunst machen, aber sich nicht mit Sex und Gender befassen wollen.“
Oha!
Laut der Autorin Sarah Pines ist es nämlich so: „Allein Frauen, die eigene oder fremde Brüste oder Dildos malen oder basteln, die, wie Georgia O’Keefe (sic), Vulvas in Wüstenfarben oder Kakteengebilde projizieren, die sich, wie Florine Stettheimer, keck und nackt selbst porträtieren, sind es wert, in den Kanon feministischer Kunst aufgenommen zu werden und damit zur heutigen Kunst zu gehören.“ Also: Feministische Kunst ist in dieser Sichtweise immer sexuell aufgeladen (ein Blick in einen Katalog der Sammlung Verbund, die darauf spezialisiert ist, ergäbe ein anderes Bild). Außerdem halten offenbar irgendwelche Dominas jegliche anders ausgerichtete Kunst von Frauen auf magische Weise unter Verschluss. Egal, ob Gegenwart oder Vergangenheit: Zu viele nicht-feministische Künstlerinnen erhielten keine Aufmerksamkeit: „Was ist mit dieser grauen, unbekannten, unbeliebten Masse übersehener Frauen? Sie schaffen keine ‚’weibliche Kunst‘ im Sinn von Peniskunst und tigern damit nicht laut und herrisch durch die Kunst- und Intellektuellenszenen.“

Graue Masse mit Millionenpreisen
Ja, was ist bloß los mit dieser grauen, peniskunstlosen Masse? Ich kann es dir sagen, liebe NZZ: Ihre Arbeiten verkaufen sich zu Millionenpreisen am Kunstmarkt (Yayoj Kusama, Cecily Brown, Agnes Martin). Sie tigern mit großem Erfolg durch die Kunst- und Intellektuellenszenen (Katharina Grosse, Eva Schlegel, Rosemarie Trockel, Fiona Tan, Zineb Sedira, Sonia Boyce, weitere Namen ad infinitum einsetzbar). Allein die Tatsache, dass in jüngster Zeit groß angelegte Shows endlich die Verdienste der Abstrakten Expressionistinnen würdigen, ist Hohn genug für die absurde These dieses Artikels – oder kann mir bitte mal jemand die Penisse und Vulven bei Lee Krasner zeigen? Helen Frankenthaler, wo hast du die Schwänze versteckt? Ich kann sie in deiner großartigen Ausstellung in Krems nicht entdecken. Wo finde ich die Phalli bei Sophie Taeuber-Arp, die im Vorjahr eine große Ausstellung im Kunstmuseum Basel hatte? Bei den vielen Bauhaus-Künstlerinnen, die 2019 quer durch deutsche Institutionen gefeiert wurden? Bei Anni Albers in deren Tate-Ausstellung?
Aber ja, es passt halt so schön ins Schema dieser ganzen Cancel-Culture-Debatte: Pöse, pöse feministische Kuratorinnen und Museumsdirektorinnen verdrängen alles, was nicht ihrem Weltbild entspricht und diskriminieren dadurch selbst alle anderen. Großartige Volte, gratuliere! Und das einer Zeit, da in den USA Zehnjährige gezwungen werden können, das Kind eines Vergewaltigers auszutragen. Feministische Kunst handelt letztlich häufig – auch – von Machtausübung durch die Kontrolle weiblicher Körper und damit von einem gesellschaftlich hochbrisanten Thema, das nicht nur Frauen angeht.

Und erst die Literatinnen!
Erst kürzlich publizierte die NZZ, dieses Flaggschiff der deutschsprachigen Qualitätspresse, einen Artikel mit dem Titel „Literarisches Kalkül“, in dem drei Schriftstellerinnen ihre Social-Media-Präsenz vorgehalten wurde. Nachdem sich eine von ihnen, Claudia Schumacher, zur Wehr gesetzt hatte, twitterte der Ressortleiter: „Ich finde, es ist ein Thema, dass man heute offenbar seine Haut zu Markte trägt, um das Eigene zu promoten.“ Bemerkenswert halt, dass das offenbar speziell bei Autorinnen ein Thema ist, weniger bei männlichen Social-Media-Influencern wie Richard David Precht oder Martin Suter, wie Regula Stämpfli und Isabel Rohner in „die podcastin“ – einem überhaupt nachdrücklich zu empfehlenden feministischen Podcast – analysierten.
So sind sie, die Frauen: berechnende Luder, die sich ihre Krimierfolge durch „rote Lippen“ und „Bein zeigen“ erobern. Oder „laut und herrisch“ durch die Kunstszene tigernd. Die unter dem schweren Joch des Feminismus ächzt. Wie sagt man so schön? Recherche haut die beste G’schicht zusammen. Bis vor kurzem hielt ich das für Ironie. Die NZZ bewies das Gegenteil.