Auge zwischen den Beinen

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Gibt es eigentlich Menschen, die von Kunstmessen nicht überfordert sind? Wahrscheinlich fehlt mir die Profi-Strategie, ich jette schließlich nicht zwischen Art Basel, Frieze und TEFAF hin und her. Die Viennacontemporary ist aber, eh klar, ein Fixpunkt. Trotzdem wird mir immer schwindlig. Doch dieses Jahr kommt sie mir so gut vor wie noch nie. Nicht nur die ZONE1 ist besonders toll kuratiert (von Fiona Liewehr), sondern auch die Explorations-Sektion (von Harald Krejci), wo ältere Kunst gezeigt wird und viele Entdeckungen warten. Eine solche ist auch Orshi Drozdik, Jahrgang 1946, die – nicht in dieser Sektion – Hans Knoll an seinem Stand präsentiert. Es ist leider keine Soloshow, aber das wäre ökonomisch betrachtet wohl Harakiri. Die Arbeiten der gebürtigen Ungarin kosten nämlich ziemlich wenig. 

Orshi Drozdik Individual
Orshi Drozdik, aus der Serie Individual Mythology, Foto: NiS

Blickkonstruktionen

Gleichzeitig läuft auch in Knolls Galerie in der Gumpendorfer Straße eine Ausstellung der Künstlerin. Ich muss gestehen, auf Arbeiten wie ihre reagiere ich ein bisschen wie der Pawlow’sche Hund. Selbstporträts, zerstückelt und wieder zusammen montiert? Wow! Das Foto einer Tänzerin, über deren Körper Projektionen fliegen? Wie super! Aquarelle von Frauen, deren Leib von Augen übersät ist? Genial! In einer Fotomontage stapelt Drozdik Streifen ihrer Augen- und Stirnpartie übereinander; sie blickt uns an und gleichzeitig verweigert sie den Blick auf sich selbst. In einer anderen kombiniert sie ein Selbstporträt mit offenen und eines mit geschlossenen Augen: Sie schaut uns an und in sich hinein. In einem Aquarell setzt sie an die Stelle der Vagina ein Auge. Die Arbeiten in der Galerie sind großteils aus den 1970er-Jahren, sie reflektieren Blickkonstruktionen, im klassisch feministischen Geist – und zwar vor dem Hintergrund des Kommunismus, der ja vermeintlich so fortschrittlich war gendermäßig. Wie vermeintlich, zeigte schon 2009 die Ausstellung „Gender Check“ im Mumok, wo Drozdik übrigens auch vertreten war. 

Orshi Drozdik Aquarell
Orshi Drozdik, Aquarelle, Galerie Knoll, Foto: NiS

Image Bank

Drozdik studierte an der Kunstakademie in Budapest. Dort ging es ziemlich konservativ zu. 1978 wanderte sie nach Amsterdam aus, später weiter über Kanada nach New York. Schon früh begann sie, eine „Image Bank“ anzulegen: Bilder, die in propagandistischem Sinn angewandt wurden und in denen sich ein recht konservatives Frauenbild spiegelt. Diese Images verwendete sie für ihre Projektionen, wie zum Beispiel in der Serie „Individual Mythology“. Die Ausstellung in der Galerie zeigt auch, wie stilistisch ambivalent Drozdiks Werk ist: Zwei Gemälde aus den 1980er-Jahren erinnern eher an die männlich dominierte Malerei der Neuen Wilden, Immendorff, Lüpertz, Baselitz, dieser Boys Club halt. 

Orshi Drozdik Gemälde
Orshi Drozdik, Gemälde, Galerie Knoll, Foto: NiS

„Individual Mythology“

Ganz unbekannt ist Drozdik in Österreich zwar nicht, Knoll zeigt sie schon lang, das Mumok besitzt eine Arbeit von ihr. In den Wiener Bibliotheken gibt es allerdings kaum Literatur über sie, und schon gar nicht auf Deutsch oder Englisch. Nur einen Essay fand ich in John C. Welchmans 2016 erschienener Aufsatzsammlung „Past realization: essays on contemporary European art“. Der Autor befasst sich mit Drozdiks Arbeit im politischen Kontext, bezogen auf „Individual Mythology“. Er schreibt: „Wie kann es sein, fragte Drozdik, dass der marxistische Status quo für ökonomische, auch für politische Befreiung von Frauen eintrat, während er blind blieb gegenüber der psychologischen und ästhetischen Konstruktion von Geschlecht?“ Drozdiks Umgang mit nicht traditionellen Materialien und Performance sei so ungewöhnlich gewesen: „Sie wusste, dass sie Ungarn verlassen musste.“ 

Orshi Drozdik, Individual Mythology - Free Dance (#6), 1975/76-2019, Foto: Galerie Knoll
Orshi Drozdik, Individual Mythology – Free Dance (#6), 1975/76-2019, Foto: Galerie Knoll

Gegen die Doktrin

Drozdik war nicht die einzige Künstlerin, die während des Kommunismus gegen die herrschende Kunst-Doktrin rebellierte und eine feministische Sprache entwickelte, wie erst kürzlich auch die Ausstellung „Medea muckt auf. Radikale Künstlerinnen hinter dem Eisernen Vorhang“ im Dresdner Lipsiusbau zeigte (sie wandert übrigens weiter ins kalifornische Culver City, nur, falls demnächst dort jemand ums Eck zu tun hat). 

Orshi Drozdik
Orshi Drozdik, Blink and Sight (#62), 1977-2019, Foto: Galerie Knoll

Aktuell arbeitet Drozdik, erzählte Hans Knoll, an einer großen Publikation. Vielleicht, vielleicht entdeckt ihre Arbeit dann ja auch ein Museum oder Ausstellungshaus in Wien. Weil eigentlich würde ich schon gern mehr sehen von ihr. 

Orshi Drozdik, Blink and Sight (#45), 1977–2019,
Orshi Drozdik, Blink and Sight (#45), 1977–2019, Foto: Galerie Knoll

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