In Frankfurt müsste man sein dieser Tage! Mir flattern immer die opulenten Einladungen der Schirn Kunsthalle ins Haus. Erst unlängst zog ich zwei bedruckte Kartonbuchstaben aus einem Kuvert, ein L und ein K – für Lee Krasner. Angeblich nach über 50 Jahren zeigt eine europäische Institution wieder eine ordentliche Soloshow der Abstrakten Expressionistin, die endlich nicht mehr hauptsächlich als Gattin von ich nenne den Namen jetzt extra nicht dasteht.

Folklore und Politik
Wenige Tage, nachdem die Schirn dieses erfreuliche Ereignis mitgeteilt hatte, lud ein Faltblatt zu einer weiteren Eröffnung. Nachdem ich die kunstvoll zusammengenähte Pappe aufgedröselt hatte, stellte sich heraus, dass es sich um eine Ausstellung der Künstlerin Hannah Ryggen handelt. Unter dem Zusatztitel „Gewebte Manifeste“ zeigt die Schirn Tapisserien Ryggens, die von 1894 bis 1970 lebte. Einer der Teppiche, mit dem Titel „Drømmedød (Tod der Träume)“, 1936 entstanden, dreht sich um den Friedensnobelpreisträger Carl von Ossietzky. Dieser wurde wegen Landesverrats angeklagt. In einem anderen Werk fliegt Hitler über eine Menschengruppe hinweg, während die Familie Ryggen in einem Boot flieht. Ein weiteres Thema der Künstlerin, die auch bei der documenta 12 vertreten war, ist Mutterschaft. Da hüpft das Feministinnenherz.

Der Stil, in dem Ryggen diese teils heftigen Sujets darstellt, ist fast folkloristisch, erscheint vordergründig naiv; auch die Technik lässt sich der Volkskunst zuordnen. Da fällt mir natürlich sofort die Pattern-and-Decoration-Bewegung ein, aber auch die Österreicherin Auguste Kronheim, die ihrer umfangreichen Aufarbeitung noch harrt.

Traditionspflege
Doch damit gibt sich die Schirn nicht zufrieden. Später folgen eine Ausstellung von Karla Black, und nächstes Jahr die Schau „Fantastische Frauen“. Eine einzige Wonne. Genau so gehört das gemacht! Das Tolle an diesem Programm ist auch, dass hier zeitgenössische Positionen und Einzelausstellungen kombiniert werden mit der Aufarbeitung kunsthistorischer Strömungen. Das hat eine gewisse Tradition in dem Haus: Schon vor Jahren punktete die Schirn mit Ausstellungen über die „Sturm-Frauen“ und die vier Impressionistinnen Berthe Morisot, Mary Cassatt, Eva Gonzales und Marie Bracquemont.

Dass in beiden Fällen der Katalog vergriffen ist, spricht für das große Interesse an der lange unentdeckten Seite der Moderne, ebenso die teilweise hymnischen Besprechungen. Im Gegensatz zu anderswo werden Künstlerinnen auch in Ausstellungen zu Themen- oder Epochenschwerpunkten nicht erst wieder ignoriert. Die Schau „Glanz und Elend in der Weimarer Republik“ etwa umfasste, wie meine Kollegin Daniela Gregori im artmagazine berichtete, immerhin „rund ein Drittel der Arbeiten in der Ausstellung von Künstlerinnen wie Jeanne Mammen, Elfriede Lohse-Wächtler, Hanna Nagel oder Dodo, hinter der sich Dörte Clara Wolff verbirgt“. Dahinter steckt wohl eine Menge Forschungsarbeit.
Auffallend oft kuratiert Ingrid Pfeiffer diese Ausstellungen. Jetzt werkt sie gerade an den „Fantastischen Frauen“, in denen sie bekannte und weniger bekannte Surrealistinnen zeigt. Solche Kuratorinnen brauchen wir (und glücklicherweise gibt’s, auch in Österreich, immer mehr von ihnen)! Ich werde dann gleich mal bei der ÖBB ein Ticket nach Frankfurt buchen.

Bravo