„I’m a lover, another old artistic soul trying to thrive, a warrior fighting for gender equality and a safe space for all LGBTQ people.“ Das sagt eine junge Person namens Marizela über sich. Hinter gelben Blumen guckt sie hervor, blonder Undercut, dunkler Pulli. Elodie Grethen, Jahrgang 1988, hat Marizela in Sarajevo aufgetrieben. Dort befragte sie für ihr Projekt „Guarding Lions“ Leute aus der LGBTQ-Szene. Das Unternehmen gestaltete sich anfänglich nicht einfach. Das erzählt Elodie Grethen, die sich schon früher künstlerisch mit queeren Themen befasst hat, in ihrer Ausstellung im Bildraum 01 in Wien: „Viele Leute wollten sich schützen.“ Dennoch gelang es ihr, einige von ihnen zu fotografieren. Wie sie in den Texten repräsentiert werden, konnten sie selbst bestimmen: Elodie lud sie ein, kurze Bildbeschriftungen zu verfassen.

Schüchterne Aktivist:innen
Manche der blutjungen Menschen kommen aus der Kunst, andere aus dem Aktivismus. Sie treten einer mit Schüchternheit, manchmal aber auch mit festem Blick entgegen – Ehlimana Elma etwa, eine queer-feministische Künstlerin mit blau gefärbtem Haar, die sich selbst als „President of Radićeva“, nach der gleichnamigen Straße in Sarajewo, bezeichnet. Eine andere Künstlerin posiert mit den Armen über dem Kopf, ein Kleidungsstück über den Oberkörper gezogen. Damit spielt sie an auf ein Denkmal der kommunistischen Nationalheldin Radojka Lakić (1917-1941), bis heute immer wieder Opfer vandalistischer Akte.

Historische Anker
Elodie Grethen kombiniert die Porträts mit Aufnahmen aus der Stadt. Die Bilder scheinen teils wie Ergebnisse eines dérive, teils setzen sie ganz dezidiert historisch-politische Anker: So fotografiert die Künstlerin zwei Wolkenkratzer, die den Krieg überlebten. Oder den Boden am Berg Trebević, wo bei der Belagerung Sarajewos die Armee der Republika Srpska Stellung bezog und wo bis vor rund zehn Jahren Minen gefunden wurden. Hinter einem Vorhang mit dem Logo der Olympischen Spiele (sie wurden 1984 in Sarajewo ausgetragen) lugt das Bild einer Tito-Büste hervor.

„Poison of judgement and hate“
Andere Bilder zeigen Privates oder scheinbar Nebensächliches: ein Zimmer, in dem ein Gitter Schatten wirft und so an ein Gefängnis denken lässt, ein goldener Vorhang in einem Shopping Center. Elodie Grethen verknüpft so die Geschichte des gebeutelten Landes mit der Gegenwart seiner queeren Jugend. Wie stark junge Leute, die nicht dem sexistischen und heteronormativen Schema entsprechen, noch immer unter Diskriminierung leiden, zeigt sich in den Statements von Elodies Porträtierten. Eine Person, die nur als „H.“ auftaucht, schreibt etwa: „Uncovering our true selves, getting rid of the poison of judgement and hate towards anything different from the norm is a battle we as a society but mostly as individuals have to take.“
Retraditionalisierung
Elodie Grethen erwähnte bei unserem Treffen in der Galerie auch, dass der Krieg der 1990er-Jahre zu einer Retraditionalisierung der Geschlechterrollen geführt habe. Etwas, das sich wohl über alle Krisen und Kriege sagen lässt, wir erleben es ja momentan live.
Anlässlich der Gay Pride, die in Sarajewo das erste und bisher (wegen COVID-19) einzige Mal gefeiert wurde, zitierte der Deutschlandfunk die Aktivistin Emina Bošnjak: „Die Menschenrechte der LGBT-Leute würden weiter folgenlos verletzt. Wer seine sexuelle Orientierung offen zeige, bekomme in der Familie Probleme und werde bei Arbeits- und Wohnungssuche diskriminiert und angegriffen Das wahre Motiv für solche Attacken würden die meisten der LGBT-Gemeinschaft bei der Polizei nicht anzeigen. Da sie dieser nicht vertrauen würden.“

Widerständische Traditionen
Wie Elodie Grethen das Private und das Politische auf einer ästhetischen Ebene verwebt, ist nicht nur anrührend, sondern zeigt Abhängigkeiten auf, aber auch widerständische Traditionen: So dient Radojka Lakić sichtlich als Role Model. Es geht der Künstlerin, wie sie sagt, auch um die Frage nach den (fehlenden) Safe Spaces, auch in einem urbanem Gefüge. Das teilt sich für mich hier allerdings in der künstlerischen Umsetzung nicht so wirklich mit. Vielleicht wiegt auch die aufgeladene Geschichte zu schwer.
Die Ausstellung im Bildraum 01 läuft noch bis 16. April; besser aber noch vor der sogenannten „Osterruhe“ (also 30. oder 31.3.) besichtigen, denn wer weiß, ob danach tatsächlich wieder aufgesperrt werden kann. Und außerdem: The Artist is present! Nur ein:e Besucher:in darf den Raum betreten, übrigens. Vorher anrufen kann also nicht schaden.
