Als ich kürzlich im Unteren Belvedere die Ausstellung „Klimt inspired by Van Gogh, Rodin, Matisse…“ betrat, tendierte meine Hoffnung, auf auch nur eine Künstlerin zu stoßen, gegen null. Schon am Eingang waberte mir eine Wolke männlicher Künstlernamen entgegen. Tja, was soll’s, dachte ich zunächst – der Kunstbetrieb dieser Zeit war halt männlich dominiert. Kann man da dem Kurator*innentrio (Markus Fellinger, Edwin Becker, Renske Suijver) einen Vorwurf machen?
Enttäuschte Nicht-Hoffnung

Doch die nicht vorhandene Hoffnung wurde enttäuscht, gewissermaßen. Denn plötzlich tauchte doch eine Künstlerin auf: die Schottin Margaret Macdonald Mackintosh (1864-1933). Ihre bestickten Tafeln, auf denen Ornamente aus unterschiedlichen Materialien zwei Figuren mit geschlossenen Augen und abstrahierten, „elongierten“ Körpern ergänzen und bedecken, hängen gegenüber einem Faksimile aus einem Ausschnitt des Beethoven-Frieses. Die Tafeln sind Repliken einer Arbeit, die 1900 in der Secession zu sehen war, so steht es im Saaltext. Damals stellte MacDonald Mackintosh nämlich gemeinsam mit ihrem Mann Charles Rennie Mackintosh, ihrer Schwester Frances MacDonald sowie deren Ehemann Harold MacNair – heute nennt man sie „The Glasgow Four“ – in der neuen Pilgerstätte der Moderne aus. Auch bei der Biennale 1899 waren Werke von ihr zu sehen. Später stattete das Ehepaar MacDonald Mackintosh den Musiksalon von Fritz Waerndorfer, Banker und Wiener-Werkstätte-Mitbegründer, aus. Dort sahen natürlich zahlreiche Vertreter*innen der Wiener Moderne die Arbeit von Margaret MacDonald.
Enormer Einfluss

Der Einfluss ihrer Kunst auf die Wiener Moderne dürfte beträchtlich sein. Im Text zu ihren bestickten Tafeln verweist man auf die „vergleichbar abstrahierten Formen“ sowie die „Schmuckelemente aus unterschiedlichen Materialien“ im Beethovenfries. In einem Video sagt Kurator Fellinger, dass MacDonald gemeinsam mit Jan Toorop und George Minne Klimt enorm beeinflusst habe, als er seinen Stil der Goldenen Periode entwickelt habe, nämlich vor allem auch darin, „Figuren rein stilistisch durch die Sprache von Linien und Formen als Symbolträger wahrzunehmen“. Im Ausstellungskatalog geht er näher auf die Friese, die Macdonald und Mackintosh in der Secession zeigten ein. Sie müssten zweifellos als die „wichtigsten Inspirationsquellen für den Beethovenfries“ gelten. „Klimt konnte hier ein Bildkonzept rein dekorativer Natur erleben, in dem kein illusionistischer Bildraum mehr vorhanden ist“, schreibt er. Auch die „Wasserschlangen I“ seien „formal sehr nah an Macdonald Mackintoshs Werken umgesetzt“. Davon kann sich jede Ausstellungsbesucherin überzeugen.


Angefixt davon, sah ich mir anderntags im MAK den 1906 von Macdonald fertiggestellten Waerndorfer-Fries an. Ein sehr außergewöhnliches Werk! Es besteht aus drei gräulichen Gesso-Paneelen und ist nach dem Theaterstück „Die sieben Prinzessinnen“ von Maurice Maeterlinck konzipiert. Nicht nur die Materialität ist speziell – mit Perlmutteinlagen! – sondern auch die Komposition, mit vielen feinen Linien, die große Bögen schlagen. Der Kunstkritiker Ludwig Hevesi schrieb, die Gestalten „spinnen sich ornamental aus, in jenen weit geschwungenen Kurven und straff gezogenen Drähten….wahrhaftig, in einem Drahtstil, im Stil der elektrotechnischen Welt, die kreuz und quer von Drähten umsponnen und durchzogen ist. Stromleitungen für Gott weiß was.“ Abgesehen davon, dass ich Herrn Hevesi um seine Sprachbilder beneide, ist es auch interessant, als wie hochmodern er diese Arbeit offenbar wahrnahm.

Im MAK ist der Fries in der Präsentation Wien um 1900 gleich neben den Entwürfen Klimts für den Mosaikfries im Palais Stoclet (1910/11) platziert – wie Macdonald malt auch Klimt die Gesichter eher realistisch und bettet diese ein in ein Meer aus abstrakter Schmuckornamentik, eine fast verblüffende Parallele. „Die […] Einlagen von preziös wirkenden Fremdmaterialien in den Grundstoffen und die damit erreichte reliefartige Wirkung übten nachhaltige Wirkung auf Gustav Klimts Friesgestaltung, vor allem den ‚Stoclet-Fries‘, aus“, schrieb die Autorin Hanna Egger in einem Beitrag in dem Buch „Ein moderner Nachmittag. Margaret Macdonald Mackintosh und der Salon Waerndorfer in Wien“, den das MAK schon 2000 herausbrachte.

Marginalisiert
Margaret Macdonald kann also mit Fug und Recht als Vorreiterin unseres geheiligten, touristisch bestens platzierten Gustav Klimt gelten. Doch diese Ansicht muss sich erst durchsetzen. Denn wer kennt sie schon? Ein breiteres Publikum jedenfalls nicht. Und das hat sicher auch einen Grund in ihrem Geschlecht. Denn ihr Ehemann wurde weitaus berühmter als sie. Wie die Kunsthistorikerin Janice Helland 1994 in ihrem Aufsatz „The Critics and the Arts and Crafts: The Instance of Margaret Macdonald and Charles Rennie Mackintosh“ (Art History, Vol. 17) ausführte, fokussierten sich Diskussionen über „The Glasgow Four“ auf Mackintosh und marginalisierten die anderen drei Mitglieder. Dabei hatten die beiden Macdonalds-Sisters vor ihren Ehen gemeinsam eine Werkstätte geführt und ihre Arbeiten signiert, womit sie überaus erfolgreich waren. Und sie erregten in der Herbstausstellung des Glasgow School of Art Club 1894 mehr Aufsehen als Mackintosh. Aber, und warum wundert mich das jetzt nicht: Mackintosh wurde im Laufe der Zeit das Architektonisch-Männliche und Macdonald das Dekorativ-Weibliche zugeschrieben. Dazu wurde der Anteil der Frau gleich überhaupt geleugnet. Hevesi, der von mir für seine Sprachkunst verehrte Kollege, schreibt das Waerndorfer-Fries etwa einfach nur „Mackintosh“ zu. Und allzu oft, bis in die Gegenwart hinein, galt Macdonald als „Ehefrau von Mackintosh“. Ein BBC-Beitrag von 2011 betitelte einen Beitrag über sie mit „Die talentierte andere Hälfte von Charles Rennie Mackintosh“. Dabei soll dieser selbst gesagt haben: „Margaret has genius, I have only talent.“ Ganz anders verhielt sich übrigens der Mann ihrer Schwester Frances: Herbert MacNair zerstörte einen Großteil des Werks seiner herausragenden Künstlerinnengattin. Auch so werden Künstlerinnen ausradiert.

(c) James Craig Annan – https://www.nms.ac.uk/media/1156955/margaret-macdonald-mackintosh.jpg via wikipedia commons
Hingehen, anschauen!
Margaret Macdonalds Werke könnt ihr dagegen noch diese Woche in der Belvedere-Ausstellung besichtigen – und wenn ihr schon mal dort seid, schaut euch doch gleich auch die beeindruckenden Stillleben der Barockmalerin Anna Maria Punz an, über die ich hier schon mal schrieb. Macdonalds Waerndorfer-Fries im MAK sei ebenfalls nachdrücklich empfohlen – und dann gleich auch die Keramiken von Gudrun Baudisch sowie die eigenwilligen Glasgefäße von Marianne Rath wenige Räume weiter anschauen!
Jedenfalls sollte keine Publikation zu Klimts Gesamtwerk im Allgemeinen sowie die Goldene Periode im Besonderen mehr ohne Margaret Macdonald auskommen. Denn wir sollten uns darüber klar werden, dass Künstlerinnen nicht nur immer diejenigen waren, die beeinflusst wurden – sondern sehr stark selbst auf andere wirkten. Dass sie Vorbildcharakter hatten, Vorfahrinnen und Vorreiterinnen waren. Diese Rolle muss stärker ins Bewusstsein gelangen. Doch da braucht es auch noch viel mehr Forschung.
Vielen Dank für den interessanten Beitrag. – Ich bin erst kürzlich in Katy Hessel´s Buch „The Story of Art without Men“ (2022) auf Margaret Macdonald Mackintosh und ihren Einfluss auf das Werk Gustav Klimts und die Entwicklung der europäischen Avantgarde gestoßen. Auch Hessel fordert mehr Forschung, um die Bedeutung dieser Künstlerin und der Glasgow School wieder in Erinnerung zu rufen.
Danke für den Hinweis auf Katy Hessels Buch! Es ist sehr verdienstvoll, dass sich eine ganz junge Kunsthistorikerin dem Thema widmet.
Diese Schau war wirklich ein eye-opener, va im Hinblick auf Margaret Macdonald Mackintosh. Danke für den Hinweis auf das Fries im MAK! Endlich werden die Frauen wahrgenommen, es wird spannend zu erleben sein, wie viele übersehene & übergangene Künstlerinnen noch entdeckt werden!
Ja, da gibt es noch vieles neu aufzuarbeiten. Glücklicherweise sind da einige Kunsthistorikerinnen dran. Wobei es noch immer mehr sein kann.
Liebe Nina,
vielen Dank für diesen tollen Beitrag! Sehr spannend und inspirierend.
Liebe Grüsse, Ines
Liebe Ines, danke dir für die Rückmeldung, freut mich – diese Künstlerin ist wirklich wahnsinnig interessant. Liebe Grüße!