Her mit den Mothers of Invention!

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Es ist ein ordentliches Trumm, das Mathias Gmachl ins Museumsquartier gesetzt hat. Fünf Tonnen Stahl, dazu ein interaktives Sound- und Beleuchtungssystem, formen sich zu einem stromlinienförmigen Wal. Er sollte Geräusche von sich geben, die in der Tiefsee aufgenommen wurden – doch das klappt nur, wenn sich niemand der Skulptur nähert. Betritt jemand den Kreis, in dem das 17 Meter lange Gebilde auf einem massiven Metallsockel ruht, dann verstummen die Walgesänge. Das soll darauf aufmerksam machen, dass der Mensch die Ozeane gefährdet, wenn er ihnen zu nahe rückt.

Wal schafft Raum

Wenn, wie unlängst an dem einen der zwei halbwegs angenehmen Abenden der Woche, lauter junge Leute biertrinkend davor sitzen, hört man natürlich nichts davon. Und wer wäre ich, die eh schon pandemiegeplagte Jugend von dort wegzustampern? In einem Interview sagt der Künstler, es sei wichtig, einen Raum zu schaffen, in dem gesellschaftlich der Umgang mit Klimawandel diskutiert werden könne. „Der Wal schafft diesen Raum, um zusammenzukommen.“ 

Echoes - a voice from uncharted waters
Mathias Gmachl, Echoes – a voice from uncharted waters (c) MuseumsQuartier Wien, Foto: eSeL.at – Lorenz Seidler

Jetzt kann man natürlich darüber diskutieren, inwieweit ein fünf Tonnen schweres Metallgerüst, das von A nach B nach C nach D und wieder retour transportiert wird (es gibt noch weitere Stationen) dazu angetan ist, vor dem Raubbau an der Natur zu mahnen. Und ob diese Installation tatsächlich in ihrer Intention funktioniert.

Margot Pilz
Margot Pilz, Kaorle am Karlsplatz, Wal aus Kunststoff, Walgesänge, 1982

Doch das hier ist ja ein feministischer Blog, und daher muss ich auf etwas anderes hinweisen: Schon 1982 ließ Margot Pilz bei ihrer Aktion „Kaorle am Karlsplatz“ einen Wal schwimmen. Aus denselben Gedanken heraus, halt etwas kleiner dimensioniert. Leider war ich damals, gerade am Sprung vom Kindergarten in die Volksschule, nicht dabei. Auf Fotos sieht man einen gemächlich-sympathischen Ozeanriesen, der im Bassin vor der Karlskirche treibt, umgeben von Kindern, die offensichtlich ihre helle Freude daran haben. Aus dem Inneren des Wals erklangen Gesänge; Margot Pilz hatte die Unterwasseraufnahmen von Greenpeace erhalten.

Sympathischer Meeresbewohner

Aber: Kein interaktives Soundsystem involvierte das Publikum, sondern die niederschwellige Zugänglichkeit des Wals lockte Kinder in Badehosen an. Das Werk von Margot Pilz war kein Hightech-Viech in Originalgröße, mit hohem technischem Aufwand hergestellt und angekarrt, sondern ein anschmiegsamer und sympathischer Meeresbewohner (Jan Tabor bezeichnete ihn in einem Aufsatz über Margots „Kaorle am Karlsplatz“ als „verliebten Moby Dick“, der einen „Liebesgesang“ von sich gebe). Doch die Intention war eine sehr, sehr ähnliche: den Wal als Bewohner einer bedrohten Umwelt und als Pars pro toto für die Gefahr, die sich die Menschheit selbst darstellt, zu begreifen. Also eindeutig: ein Vorläufer von Gmachls neuer Installation.

Margot Pilz
Margot Pilz, Kaorle am Karlsplatz, 1982

Leider werden solche Sachen immer vergessen, denn in kunsthistorischen Erzählungen dienen fast immer männliche Positionen als Referenzpunkte. Es geht immer nur darum, was Männer erfunden und wo Frauen angeknüpft haben – und selten umgekehrt. Das ist auch am Kunstmarkt so, darauf hat mich mal jemand aufmerksam gemacht: Die Preise von Künstlerinnen werden mit denen von anderen Künstlerinnen verglichen. Die sind dann niedriger als die der Künstler – et voilà! So pflanzt sich das alles fort, und wir bleiben weiterhin hinten.

Sekundenskulpturen

Die Arbeiten von Margot Pilz, über die ich gerade eine Biografie geschrieben habe, können für so vieles, was ihre männlichen Kollegen gemacht haben, eine Referenz sein, zum Beispiel auch ihre „Sekundenskulpturen“: 1978 hat sie sich, eingeschnürt, zusammengekauert, kniend, in Fotos abgebildet. Natürlich liegt die Assoziation zu Erwin Wurms „One Minute Sculptures“ auf der Hand! Klar, Margot war nicht gar so, haha, lustig wie er, irgendjemand Stifte in die Nase oder einen Besen in den Hintern zu stecken. Aber der Gedanke, Skulptur als körperlich-performativen Prozess zu begreifen, ist hier längst angelegt. Wurm kannte Margots Arbeiten übrigens, so sagt sie.

Auch ihr „Kaorle am Karlsplatz“ war wegweisend, wenn auch weniger in der Kunst: Vor 20 Jahren kamen diese Stadtstrände überall in Mode, Margot hat sie ihrerseits zwei Dekaden zuvor vorweggenommen. Doch denkt da jemals wer dran? Im Künstlerhaus sind derzeit einige Fotos davon zu sehen.

Margot Pilz, aus: Sekundenskulpturen, 1978
Margot Pilz, aus: Sekundenskulpturen, 1978

Kann man weder Gmachl noch Wurm vorwerfen, dass sie Margot Pilz tatsächlich plagiiert hätten, so muss man doch sagen: Sie war schon vorher mit etwas sehr, sehr Ähnlichem da! Bitte das nicht zu vergessen.

Beleidigter Künstler

Anders ist das bei manchen, um nicht zu sagen: nicht wenigen Arbeiten von Maurizio Cattelan. Vor zirka zehn Jahren hat mich Gabriele Schor, die Leiterin der Sammlung Verbund, darauf aufmerksam gemacht, dass er für eine Zeitung einfach Birgit Jürgenssens „Nest“ – dieses Bild, wo sie im Schneidersitz ein Vogelnetz zwischen ihren Schenkeln präsentiert – kopiert hat! Und wirklich, mehr oder weniger eins zu eins übernahm er Jürgenssens Schöpfung. Natürlich ohne sie kenntlich zu machen.

Eine Kollegin, Brigitte Werneburg, erwähnte in der „taz“, dass er bereits Werke anderer Künstlerinnen imitiert hatte. Ihr sarkastischer Schluss: „Wie die Beispiele seiner Exfreundin, der Performancekünstlerin Vanessa Beecroft, Francesca Woodman und nun Birgit Jürgenssen zeigen, bereichert er sich klugerweise besonders gerne am Werk von Künstlerinnen. Das honoriert der Kunstbetrieb: Schließlich bringen gute Ideen nur unter männlichem Namen so richtig fetten Umsatz.“ Gabriele Schor wies Cattelan übrigens freundlich auf Jürgenssens „Nest“ hin – seine Antwort, wie sie damals erzählte: Es wäre schon eine Beleidigung überhaupt anzunehmen, dass er sich bei anderen bediene. Ha, ha, ha.

Bremer Stadtmusikanten

Auch seine Skulptur „Love saves life“ von 1995 hat eine Vorläuferin – nämlich die Diplomarbeit der Künstlerin Katarzyna Kozyra aus dem Jahr 1993. Diesen Hinweis verdanke ich Silvia Eiblmayr, die ich eigentlich wegen einer anderen Cattelan-Kopie kontaktiert habe; auch diese Arbeit, wo er seinen Galeristen mit Gafferband an die Wand geklebt hat, imitiert das Werk einer Künstlerin.

Katarzyna Kozyra, Bremer Stadtmusikanten, 1993, Zacheta Galerie, Warschau
Katarzyna Kozyra, Bremer Stadtmusikanten, 1993

Es gibt gegen diese Art von Ignoranz nur eine wirksame Methode: Die künstlerischen Verdienste von Frauen müssen endlich eins zu eins mit denen der Männer ins öffentliche Bewusstsein treten!
„Mothers of Invention“ – diesen Titel trug einmal eine Ausstellung von Carola Dertnig und Stefanie Seibold, die sich um die feministischen Ursprünge der Performance drehte. Her mit den „Mothers of Invention“! Es muss in der österreichischen Kunstgeschichte geklärt sein, wer die Vorläuferin der „One Minute Sculptures“ war, es muss aus Tapet, von wem sich Maurizio Cattelan so schön „inspirieren“ ließ, und es muss bekannt werden, dass es in Wien schon 1982 einen singenden Wal gab. 

2 comments

  1. Das war gestern genau das Thema der online-Ringvorlesung von ZEUGS (Zentrum für Europäische Geschlechterstudien der Universität Münster). Die Kunsthistorikerin Ursula Frohne nannte ihren Vortrag: „Gender matters. Ökonomien und Geschlechterverhältnisse im Kunstsystem“. Ich werde ihr den artmisia-Beitrag weiterleiten, für den ich sehr danke. Susanne Meier-Faust, Freiburg i. Br.

    1. Danke für den Hinweis! Schade, dass ich den Vortrag nicht hören konnte, er wurde wohl nicht aufgenommen? Liebe Grüße nach Freiburg und vielen Dank fürs Weiterleiten!

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