Im Sommer las ich das Buch „Sex und Lügen“ von Leïla Slimani. Die Autorin schildert darin mit großer Empathie, wie Frauen, viele von ihnen aus Marokkos Hauptstadt Rabat, sexuell unterdrückt werden, Frauen aus allen beruflichen und sozialen Schichten. Es war berührend, diese Geschichten zu lesen, und gleichzeitig so unvorstellbar. Slimani schreibt: „Unter einer bleiernen Glocke reproduziert der Mann im Familinekreis und im engen persönlcihen Umfeld das ewig gleiche autoritäre Modell. So entstehen für ein Zwangsregime brauchbare Individuen. Sexuelle und politische Unterdrückung gehen Hand in Hand.“

Wann, wo, mit wem
Dass einer selbst jemand Vorschriften machte, mit wem man wann und wo Sex haben dürfte, dass eine geächtet würde, wenn sie im Leben mit mehr als einem Mann schläft, dass eine nur als „Jungfrau“ (schon das Wort ruft Übelkeit hervor bei mir) heiraten dürfte: alles himmelschreiend! Und natürlich kam mir wieder mal der nicht besonders angenehme Gedanke, dass es in einer privilegierten und recht bequemen Situation wie meiner heraus nicht SOO rasend schwer ist, Feministin zu sein. Ja! Aber ich bin halt mal hier geboren. Was für ein Glück. Als Frau in Rabat, nicht so witzig, dachte ich mir beim Lesen von Slimanis Buch.

Rabat Biennale
Und dann erzählte mir die Künstlerin Judith Saupper ebenfalls von Rabat. Nämlich dass sie an einer Biennale teilnehmen würde, die in ihrem Hauptteil ausschließlich Arbeiten von Künstlerinnen zeige. Erstaunlich! Anderswo gibt’s sowas nicht, trotz Biennaleninflation. Natürlich, das Konzept „Frauenausstellung“ kann man aus diversen Gründen immer hinterfragen, (vielleicht versuche ich die demnächst hier mal näher auszuführen). Doch in Wirklichkeit kommt es immer darauf an, wie was gemacht ist. Und vielleicht auch, wo was gemacht wird. Denn es scheint mir doch sehr, sehr bemerkenswert, wenn gerade in Marokko ein solches Unterfangen stattfindet. Der Kurator der Rabat Biennale ist übrigens ein Mann, Abdelkader Damani; als „institutionelle Partner“ führt die Presseunterlage nebst anderem das marokkanische Kulturministerium an.

Die Rabat Biennale startet nächste Woche, und die internationale Liste der Künstlerinnen quer durch alle möglichen Sparten liest sich beeindruckend – nur einige Namen: Etel Adnan, Mona Hatoum, Ghada Amer, Candice Breitz, Ikram Kabbaj, Diana Al Hadid, Ila Bêka und Louise Lemoine. Aus Österreich sind neben Judith auch Katharina Cibulka und Brigitte Mahlknecht dabei. Einige männliche Künstler nehmen an Side Events statt.

Das Art Newspaper befragte Kurator Damani über die Gründe für seine Women-Only-Veranstaltung. Seine Antwort: „In order to define the urgencies of a creative moment, we must first settle our debts. Take an inventory of regrets, omissions, or better yet the inventory of what has not been said, what has not been screamed at the face of the world… If a new biennial must exist, we must have the courage to address that debt; I will invite only women artists in the hope that this new institution remains faithful to its founding moment.”

Schulden bezahlen
Der Kunstbetrieb bezahlt seine Schulden. Da sind wir zwar in Europa an vielen Orten eh schon länger dabei, doch in Rabat scheint mir das ein weitaus stärkeres Signal zu sein. Leïla Slimani schreibt über die Frauen in Marokko, in den islamischen Ländern überhaupt: „Die Frau ist Mutter, Schwester, Gattin, Tochter. Nur kein Individuum. Sie ist Garant der Familienehre und, schlimmer noch, der nationalen Ehre. Ihre Tugendhaftigkeit ist eine öffentliche Angelegenheit. Es bleibt also die Frau zu erfinden, die niemandem gehört, die sich für ihr Handeln nur als x-beliebige Bürgerin verantworten muss, nicht in Bezug auf ihr Geschlecht.“ Ich glaube, eine Women-Only-Biennale ist genau dort genau richtig.
