Wir Schimpansen

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Gerade lese ich Sibylle Bergs Interviewsammlung „Nerds retten die Welt“. Die von mir sehr verehrte Schriftstellerin befragt darin Leute aus der Wissenschaft. Im Gespräch mit dem Soziologen und Männlichkeitsforscher Rolf Pohl sagt Berg, die in Zürich wohnt: „Die Schweiz liegt in Sachen politischer und wirtschaftlicher Teilhabe von Frauen konstant auf einem der hinteren Plätze in internationalen Untersuchungen.“ 

Wo Schatten, da Licht!

Es ist bemerkenswert, dass dieses aus der Außensicht so hoch entwickelte Land in Sachen Gleichstellung derart rückständig ist. Schon einmal habe ich auf diesem Blog den mickrigen Künstlerinnen-Anteil im Kunsthaus Zürich thematisiert. Aber: Wo Schatten, da auch Licht! Die – nicht einmal wegen Corona und allem drumherum verstorbene – Zweckoptimistin in mir sieht die vielen engagierten Frauen im Schweizer Kunstbetrieb, die mit Verve die verkrusteten Zustände bekämpfen.

Zum Beispiel Elisabeth Eberle. Sie und viele andere stießen eine große öffentliche Debatte über die Unterrepräsentation von Künstlerinnen in Schweizer Museen und Ausstellungshäusern an. Daraus destillierte sie ein Audio-Stück mit dem Titel „Kai spricht“. Das Werk soll als Installation nächsten Februar im Zürcher Helmhaus gezeigt werden; hier könnt ihr es schon mal vorweg abrufen (Passwort: kisskiss).

Elisabeth Eberle, "Kai spricht", Hörstück-Vorschau auf Vimeo
Elisabeth Eberle, „Kai spricht“, Hörstück-Vorschau auf Vimeo

Der Volkszorn kocht

In der Arbeit lässt Elisabeth Eberle einen Mann namens Kai Postings aus dem Schweizer Tagesanzeiger verlesen, nachdem dort der Redakteur Andreas Tobler und andere über die Forderung geschrieben haben, mehr Ausstellungen von Künstlerinnen zu zeigen. Dass der virtuelle Raum das Schlechteste aus den Menschen hervorkehrt, ist tagtäglich nicht nur auf Social Media, sondern auch im Standard-Forum zu beobachten. Wenn es um feministische Anliegen geht, kocht der Volkszorn besonders hoch.

In Elisabeths Arbeit fragt einer zynisch: „Darf ich als Mann trotzdem noch in die Ausstellung eines männlichen Künstlers gehen, oder fühlt sich dann jemand gekränkt?“ Ein anderer wütet: „Die Ideologen handeln und argumentieren selbst zutiefst sexistisch.“ Natürlich kommt auch wieder die ewige Platte von der Zensur: „Dann wäre das doch Kunstzensur, das hatten wir ja schon mal“. Andere ergehen sich im ebenfalls schon längst bekannten Geseiere über die angeblich mangelnde Verfügbarkeit von weiblichen Kunstschaffenden („Wie viele Künstlerinnen von Format gibt es überhaupt?“). Alles bekannt. Mein persönliches Highlight aber ist folgendes Zitat: „Auch Tiere sind zu künstlerischem Ausdruck fähig. Eine Quote von mindestens 25 Prozent muss daher Kunstwerken vorbehalten werden, die von unseren animalischen Mitbewohnern geschaffen wurden.“ Künstlerinnen stehen also auf einer Stufen mit Schimpansen, denen jemand eine Farbtube in die Hand gedrückt hat. Vielleicht sollte man sie gleich in einen Käfig stecken.

Elisabeth Eberle
Aus der Serie „Lockdown“

Scheuklappen

Das Interessante an der Arbeit von Elisabeth Eberle ist nicht nur, dass sie diese geballte Ladung sexistischer Kommentare vorführt und damit der Lächerlichkeit preisgibt, sondern auch die Umsetzung: Kai ist nämlich eine Computerstimme. Monoton deklamiert er die Postings – so mechanisch wie die immer gleichen Nicht-Argumente, die zuverlässig auf Forderungen nach einer Gleichstellung von Frauen folgen, egal, ob im Kunstbetrieb oder anderswo.

Das Kunstwerk begleitet ein Selbstporträt von Elisabeth Eberle. Darauf hat sie ein Sackerl des Kunsthauses Zürich über ihren Kopf gestülpt – in Anspielung auf eine Arbeit von Anne Marie Jehle, die 2019 im Kunsthaus Bregenz zu sehen war. Das Foto stammt aus einer Reihe von Selfies, in denen Elisabeth das Gesicht verhüllt – mit Scheuklappen von Pferden, einem Plastiktrichter, einer Augenklappe und einem Nasen-Mundschutz (dieses letztere Selbstporträt entstand übrigens schon vor Corona). Jetzt, während der Pandemie, posierte die Künstlerin auch mit Absperrband und Spitzendeckerl vor dem Gesicht. In einem Mail stellt sie den Bezug zwischen Frauenfeindlichkeit und Corona-Krise her: „Aussätzigkeit und Ausgrenzung ist ja in den Themen überlagert.“

Elisabeth Eberle
Aus der Serie „Lockdown“

Die Verhüllungen – bemerkenswert, dass die Künstlerin gerade das so umfehdete Kopftuch auslässt – sind Behinderungen, rauben einer die Sicht und schneiden einer die Luft ab, lebensbedrohlich sogar im Fall des Plastiksackerls.

Schutz und Bevormundung

Für mich stellen die Arbeiten auch die Frage, wo die Grenzen zwischen Schutz, Bevormundung und Einschränkung verlaufen, eine Frage, die zusätzlich zur feministischen Dimension nun eine sozialmedizinische bekommen hat. Eine beliebte Methode, Frauen zum Schweigen zu bringen und verschwinden zu lassen, war schon immer ihr angeblicher Schutz. Auch die kommentierenden Leser, deren Stimmen Kai vorliest, wollen die Frauen schützen: davor, dass sie bloß als Quotenfrauen wahrgenommen werden.

Auf diese Art von Fürsorge kann ich verzichten, besten Dank auch.

Elisabeth Eberle
Aus der Serie „Lockdown“

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