Anna Meyer und ihr Atlas des Feminismus

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Man ist ja schon ziemlich privilegiert als Journalistin. Das Tolle an dem Beruf ist, dass man Sachen sehen kann, die nicht gerade irgendwo ausgestellt sind. Zum Beispiel eine großartige Serie von Anna Meyer. Sie trägt den Titel „Futurefeminismus“, Untertitel: „Wir lebten in 100 Jahren“. Seit 2007 arbeitet die Künstlerin an diesen Gemälden, kleinen Studien auf Plexiglas, auf das sie Miniaturen von Kunstwerken quer durch die Jahrhunderte malt und kombiniert, ergänzt durch Bilder von Pop-Ikonen wie Courtney Love oder Patti Smith sowie eigene Gemälde von Selbstdarstellungen, die bereits in den 1990er-Jahren entstanden.

Futurefeminismus

Als ich Anna besuchte, hatte sie die 34 Platten am Boden drapiert, eine Installation, ein feministischer Mnemosyne-Atlas. Ja eh, Aby Warburg wurde in letzter Zeit echt oft bemüht. Aber die Assoziation liegt halt auf der Hand. 

Anna Meyer
Anna Meyer: Future Feminismus (Wir lebten in 100 Jahren), 34 Tafeln, 2008-2014. Courtesy Künstlerin und Krobath Wien. Foto: Künstlerin

Auf den Platten, die sie schon ein paar Mal hängend präsentierte (Installation Shots, ein Text von Yvonne Volkert und mehr Bilder hier), begegnen einander Alte Meister und Performancekünstlerinnen, Beuys stößt auf Benglis, Lavinia Fontana auf Marlene Haring, Frans Hals auf Birgit Jürgenssen. Oft tauchen Bilder von Maria Lassnig auf, ebenso jene der Malerin Sylvia Sleigh. Der Ausgangspunkt der Serie war ein Gemälde von Tizian, Tarquinius und Lucretia, eine Vergewaltigung also. Darüber setzte die Künstlerin Lynda Benglis‘ verstörendes wie umstrittenes Artforum-Ad, in dem diese mit Dildo posiert.

Anna Meyer
Anna Meyer: Futurefeminismus, 2008, Öl auf Plexiglas. Courtesy Künstlerin und Krobath Wien. Foto: Künstlerin

„Die Projektionsfläche wird aktiv“, sagt Anna Meyer. Ein Satz, der auch auf einer Tafel steht, in der die Künstlerin Courbets „Origine du Monde“ eine Arbeit von Lee Lozano entgegensetzt, wo eine Vagina als Sparkassenschlitz erscheint: Wie viel Geld wurde gemacht mit nackten Frauen auf Leinwand? Man braucht sich ja nur die teuersten Gemälde aller Zeiten anzusehen. „Nackte Frauen erzeugen viel Geld“, so Annas trockener Kommentar.

Anna Meyer
Anna Meyer: I’m with Stupid, Öl auf Plexiglas 2013. Courtesy Künstlerin und Krobath Wien. Foto: Künstlerin

Schönheit mit Schmäh

Es ist eine ganze Reihe von Themen, die ihr „Futurefeminismus“ aufgreift. Jakob Lena Knebls „Fettecke“, die von Beuys, eine Skulptur von Lynda Benglis, Rubens und Lucian Freud feiern das Fleischliche, ganz ohne Spaßverderber-Diätwahnsinn und liefern ein alternatives Schönheitskonzept mit Schmäh. Eine Arbeit, in der die Künstlerin eine Gemälde von sich selbst (masturbierend mit Pinsel) inkludiert, greift die omnipräsente Angst vor Haar an vermeintlich falschen Stellen auf. Und auch das Männerbild wird zum Thema: Als armer Tropf erscheinen die Herren der Schöpfung in einer Tafel, auf der Nicole Eisenmans Knäblein ratlos auf seinen Penis blickt, als prekäre, verwundete Existenzen in der Arbeit „Windeln der Helden“, wo der Heilige Sebastian, Andy Warhol und Martin Kippenberger zueinander finden. „Ich möchte über diese Bilder einen Diskurs anzetteln“, sagt Anna Meyer. „Es ist wichtig zu sehen, wie vielfältig Feminismus ist.“

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Anna Meyer: Fettecke, 2012, Öl auf Plexiglas, Courtesy Künstlerin und Krobath Wien. Foto: Künstlerin

Geschichte der Geschichte

Mittlerweile können feministische Kunst und Kunstgeschichte auf eine lange Historie blicken – von den Bemühungen der 1970er-Jahren, in denen Linda Nochlin und Griselda Pollock begannen, die Heroinnen seit der Renaissance zu erforschen (wobei man ihre Wiener Vorfahrinnen nicht vergessen darf, die gerade in „Stadt der Frauen“ präsentiert werden) über den feministischen Blick auf Alte Meister und deren Umgang mit Geschlechterdarstellungen bis hin zur kunsttheoretischen und philosophischen Studien zur Gegenwartskunst.

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Anna Meyer: Haare, 2012, Öl auf Plexiglas. Courtesy Künstlerin und Krobath Wien. Foto: Künstlerin

Anna Meyer schafft einen Kommentar auf die lange Geschichte des Feminismus in der Kunst, der aber über deren Grenzen hinausreicht. Denn Themen wie Vergewaltigung und übertriebene Schönheitsideale bleiben schlechte alte Bekannte des Feminismus überhaupt.

„Natur der Frau“

„Wir lebten in 100 Jahren“: Der Titel stellt explizit die Verbindung her zur Zukunft und Vergangenheit. Unweigerlich fragen wir uns: Wo waren wir vor 100 Jahren, und wo werden wir in 100 Jahren sein? Hoffentlich weiter als heute. Wo eine angebliche Sozialministerin davon spricht, dass irgendwas in der „Natur der Frau“ festgelegt sei, das Pflege-Gen oder so. 

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Anna Meyer, Windeln der Helden, Öl auf Plexiglas, 2012. Courtesy Künstlerin und Krobath Wien. Foto: Künstlerin

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