Surprise, surprise: Adding Culture ist auch nicht recht

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Nur Statuen von Männern in dieser wunderschönen und riesigen Anlage, einem ringförmigen Kanal mit Skulpturen aus dem Spätbarock. Als wir kürzlich über den Prato della Valle in Padua schlenderten, hat mich die völlige Abwesenheit von Frauen nicht gewundert. Es ist ja überall so, wenn man weiter in der Geschichte zurückgeht. Die Kleriker, die in den Grabplatten der Kirchen eingraviert sind. Die Rektoren in der langen Ahnenreihe der Universität. Die Maler im Museum. Je weiter entfernt eine Zeit ist, desto eher verschwinden die Frauen. Oder sie sind nur noch in Gestalt von Göttinnen, Allegorien, Bibelgestalten, namenloser Irgendwers vorhanden, gerne nackt auf den Bildern. Die Beobachtung, dass unter den 78 Persönlichkeiten keine einzige Frau war, erschien mir also so derart banal und unspektaktulär, dass ich zu meinen Mitreisenden nicht einmal ein Wort darüber verlor. 

Prato della Valle (c) Wikipedia
Prato della Valle (c) Wikipedia/Didier Descouens

Frau Doktor, die erste

Später ließen wir uns durch die Universität der Stadt führen. Dort promovierte die erste Frau, das wusste ich nicht. Die Kulturvermittlerin, die uns äußerst kompetent über die Geschichte der Universität erzählte, wies uns auf ihre Statue hin. Sie zeigt Elena Lucrezia Cornaro Piscopia, die 1678 an der Universität von Padua ihren Doktor erhielt, in Philosophie, nicht in Theologie, weil da natürlich die Kirche dagegen war, eh klar.  Ich sag’s ehrlich, ich war ziemlich ergriffen. Allerdings steht die Skulptur nicht im öffentlich zugänglichen Teil des Gebäudes, sondern man muss an einer Führung teilnehmen, um sie besichtigen zu können.

Zurück im Hotel, scrollte ich zerstreut durch die Nachrichtenseiten. Zu meinem großen Erstaunen sprang mir auf orf.at ein Bild des Prato della Valle in die Augen, wo ich erst Stunden zuvor flaniert bin. Was für ein Zufall! Schon zum zweiten Mal inspiriert mich diese Stadt zu einem Artemisia-Beitrag.

Elena Lucrezia Cornaro Piscopia (c) Wikipedia/Giovanni Francesco Cassioni
Giovanni Francesco Cassioni: Elena Lucrezia Cornaro Piscopia (c) Wikipedia

Blöder geht’s kaum

Jedenfalls geht die systematische Frauenexklusion am Prato della Valle einigen in der Stadtpolitik gehörig auf den Keks. Die Stadträtin Margherita Colonnello (Partito Democratico) und ihr Kollege Simone Pillitteri (Lista Civica – Giordani Sindaco) beantragten daher, die Herrenriege durch eine Statue der Elena Lucrezia Cornaro Piscopia zu ergänzen. Das wäre kein großes Problem, denn zwei der Sockel sind leer, auf sechs stehen Obelisken. Eine weibliche Figur war übrigens schon vorgesehen: Der venezianische Politiker Andrea Memmo, der für die Planung der Piazza zuständig war, betrachtete neben den Dichtern, Gelehrten, Herrschern, Geistlichen und sonstigen illustren Männern auch die Dichterin Gaspara Stampa als eine der wichtigen Persönlichkeiten der Stadt Padua. Nun ist sie zwar vorhanden, aber bloß als Büste zu den Füßen des Bildhauers Andrea Briosco. Blöder geht’s ja kaum. 

Prato della Valle (c) Wikipedia/Didier Descouens
Prato della Valle (c) Wikipedia/Didier Descouens

Klarerweise kamen auf den Vorschlag von Colonnello und Pillitteri hin gleich die üblichen Reaktionen. Zu überregionaler Prominenz brachte es der Zeithistoriker Carlo Fumian. Der meinte, dass Cornaro Piscopia ja bereits an der Universität eine Statue habe – wolle man die etwa jetzt auf den Prato della Valle transferieren? „Man verschiebt Monumente nicht wie Legosteine. Das ist ein gefährliches Spiel und wenig intelligent.“ Das sagte er zur New York Times, die auch den Lokalpolitiker und Kunsthistoriker Davide Tramarin zitiert: „Ob es Ihnen gefällt oder nicht, der Prato della Valle ist ein Ausdruck der Vergangenheit. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen – nicht diese ändern.“

Dass er als PD-Mitglied damit seiner Parteifreundin in den Rücken fällt, kennt man im nördlichen Nachbarland ebenso zur Genüge wie die ganzen hanebüchenen Argumente. Der Historiker Fumian findet offenbar, dass eine einzige Statue für die weltweit erste Frau Doktor in der Stadt ihres Wirkens wohl reicht (die noch dazu eher im Verborgenen verweilt und daher wohl kaum Denkmalcharakter hat). Dann machten einige der Herren Vorschläge, dass man irgendwo Erklärungen zur 100-Prozent-Männer-Quote anbringen könnte: das beliebte Taferl, das immer alles retten soll, wenn man sich nicht über eine konsequente Lösung drübertraut! Wie das dann ausschaut, lässt sich an so manchen Straßennamen auch in Wien beobachten. 

Lieber nichts als eine Frau

Dummerweise kann diesmal nicht der abgeschmackte Begriff der „Cancel Culture“ benützt werden, da es hier ja, wie ein Autor der „Süddeutschen“ treffend bemerkte, es eher um „Adding Culture“ geht. Aber schon witzig, dass manchen offenbar leere Sockel lieber sind als Denkmäler für bedeutende Frauen der Geschichte. Nein, eigentlich nicht so witzig.

Wir können die Vergangenheit nicht ändern, da hat Tramarin schon recht, und wir können die Diskriminierung von Frauen über so viele Jahrhunderte nicht rückgängig machen. Aber die systematische Entfernung weiblicher Geschichte, weiblichen Lebens, weiblicher Verdienste aus der Vergangenheitsüberlieferung: Die können wir ändern. 

Prato della Valle (c) NiS
Prato della Valle (c) NiS

Und vielleicht wird ja jetzt auch noch Gianna Nannini Präsidentin.

4 comments

  1. Mit großer Freude gelesen! Vielen herzlichen Dank! Vielleicht kann man bestehende Narrative nicht ändern, aber möglich wäre es doch, neue zu schreiben, vielleicht von all den Frauen die Doktorarbeiten geschrieben haben, was sie dazu brachte und wie sie den steinigen Weg meisten konnten. Und dann wäre es noch ein tolles Bildthema: Wie lassen sich gelehrte Frauen darstellen ?

    1. Danke für den Kommentar, freut mich! Wir werden weiter beobachten, was hier passiert. Gut, dass etwas ins Rollen gebracht wurde.

    2. danke für den interessanten Artikel.
      Unsere Tochter Lilja hat ihrer Doktorarbeit den Titel gegeben: Ich wollte nie eine Hausfrau sein. Es geht um Frauen, die während der Weimarer Republik Medizin studiert haben und eine vergleichende Studie in Norwegen. Es war sehr schwer für die Frauen als Medizinerinnen zu arbeiten. Wenigstens sind sie in einer Doktorarbeit unvergessen.

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