Hannah Perry attackiert männliche Fetischobjekte. Mit Golfschläger oder Lautsprechersound.
I am perfect
„I am perfect“, liest man zuerst und ist verstört. Und dann: „Sex Dreams in which I am perfect.“ Die Lettern verschwimmen mit dem Hintergrund, Weiß auf Weiß. In anderen Bildern öffnen sich lila und rosa geschminkte, leicht geöffnete Münder, wie in einer Bildstörung mehrmals übereinander gestapelt. Spiegelnde und zerknüllte Folien, verschmierte Farbe, Kleckse. Alles ist genau das Gegenteil von perfekt in den Bildern von Hannah Perry.

Auch die rosa Jeansjacke, die sie an diesem Nachmittag trägt, ist nicht gesäumt, lässig hängen die Fäden aus dem Stoff. In ihren Bildern wendet Hannah, Jahrgang 1984, die gern und ausführlich und klug über ihre Kunst spricht, die Siebdrucktechnik an. „Ich habe gelernt, sehr sauber zu arbeiten. Aber ich wollte etwas machen, um Dynamik hineinzubekommen, Spuren zu hinterlassen“, sagt sie. Mit Vorliebe setzt sie Autofolien ein, die in allen Farben glänzen und schillern.
Männliche Fetischobjekte
Auch ihre große Installation in der Galerie Lisa Kandlhofer, wo sie gerade gemeinsam mit Simon Barclay ausstellt (bis 10. November), ist mit einer solchen überzogen – ein geschwungenes Objekt, an dessen Rückseite Lautsprecher hängen (eine ähnliche Arbeit war kürzlich in ihrer Ausstellung im KM-Graz zu sehen, siehe auch hier). Wenn sie eingeschaltet werden, versetzt sich die Folien-Wand in Schwingung, gibt den Umraum verzerrt wieder. Bei einem Cappucino und einer Zigarette im Hof der Galerie sagt Hannah Perry: „Ich arbeite gern mit männlichen Fetischobjekten wie Autos.“ Und wie lustvoll sie diese angreift!

In einem Film, der in der Galerie läuft, zertrümmert eine Frau – was für eine wunderbare Aggressionsabfuhr! – ein Autofenster mit einem Golfschläger (die Blume von Pipilotti Rist hat ausgedient). Die Arbeit ist montiert aus persönlichen Bildern: kalifornische Palmen, ein tanzendes Mädchen, eine Turnerin, eine Frau, die auf einem Bett hüpft, die Begegnung eines Geckos und rot lackierten Zehennägeln in einer Badewanne, eine lange Sequenz von nackten Körperteilen, manche davon mit blauen Flecken und Knutschflecken (die im Englischen den weitaus treffenderen Namen Love Bites tragen). Eine Stimme sagt: „I want to apologize for my emotions.“ Oder: „I don’t believe in Freud“. Und: „Performing for myself in my own world.“
Stereotyp: Hysterie
Es geht um die Selbstdarstellung im Instagram-Zeitalter, dieses ständige Präsentieren des Privaten im Öffentlichen – aber auch um psychische Erkrankungen, in denen sich häufig schematische Rollenverteilungen spiegeln. „Die Vorstellung von weiblicher Hysterie ist ein Stereotyp, das wir aber verinnerlicht haben“, sagt sie. „Es gibt aber auch eine toxische Männlichkeit: Männer dürfen nicht verletzlich sein.“ Das wurde ihr stark bewusst, nachdem sich ein Freund von ihr umgebracht hatte. Der Kurator Jürgen Dehm schrieb treffend im Blog des KM-Graz: „Hannah Perrys Kunst bewegt sich zwischen dem großen Auftritt und der großen Pose auf der einen Seite, und der zarten Darbietung von Verletzlichkeit und Intimität auf der anderen.“

Am 2. Oktober eröffnet sie eine Ausstellung im Somerset House in London, und überhaupt ist die Britin ziemlich erfolgreich, stellte schon im Stedelijk Museum aus, performte in der Serpentine Gallery und zeigte eine Soloshow bei CFA Berlin. Vom Frieze abwärts haben Kunstzeitschriften über sie berichtet. Wie geht es einer feministischen Künstlerin, die in ihren Dreißigern ist, und 2018 in einer europäischen Metropole? Erlebt sie noch Diskriminierung? Oder ist, wie viele Gleichaltrige meinen, ohnehin alles erreicht? Nun ja.
„Ich war bei einem Panel, wo sehr erfolgreiche Frauen, echte Entscheiderinnen waren. Darunter Cherie Blair, die Frau von Tony Blair. Alle waren sich einig: Du musst als Frau außergewöhnlich gut sein, um etwas zu erreichen. Du musst Superman sein! Clark Kent zu sein, reicht nicht“, sagt Hannah (siehe dazu auch mein Beitrag über das NRW-Forum). „Immerhin ist heute die Vorstellung, das Künstlerinnen Kinder haben, etwas gängiger als früher.“ Doch die Angelegenheit sei subtiler geworden. „Um ernst genommen zu werden, darfst du nicht attraktiv oder sexuell begehrenswert sein. Du musst betonen, dass du als professionelle Künstlerin auftrittst und nicht, um irgendwie rumzumachen.“ Immerhin Hannah Perry scheint das bisher ganz gut gelungen zu sein.

Mehr über Hannahs Arbeit: http://www.hannahperry.com
Zur Ausstellung in der Galerie Lisa Kandlhofer: http://www.kandlhofer.com/usr/documents/exhibitions/press_release_url/67/press-release_hp_sb_en_de.pdf