Goliaths sexy Feder

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Als ich vor Ewigkeiten Kunstgeschichte studierte, kam mir diese Disziplin ziemlich konservativ vor. Genauso wie ihre Studierenden! Aus der Provinz kommend, erwartete ich lauter Anarchos und Punks, mit denen ich ständig demonstrieren gehen könnte. Dabei dominierte am Institut für Kunstgeschichte an der Uni Wien die Perlenketterl-Fraktion aus Döbling. Und es gab tatsächlich einen Professor, der behauptete, es gäbe keine Kunst nach dem Jugendstil. Es wäre damals völlig undenkbar gewesen, dass dort jemand über die Kunst der Renaissance so nachdenkt wie es Elisabeth Priedl heute tut. Und vielleicht ist es kein Zufall, dass die Kunsthistorikerin als Senior Scientist an der Akademie der bildenden Künste in Wien arbeitet und nicht an der Hauptuni.

Queere Renaissance

Im Rahmen der Europride in Wien hielt sie unlängst einen Vortrag über queere Geschlechterkonstruktionen in der Renaissance. Die Kuppelhalle des Kunsthistorischen Museums war dicht besetzt, interessanterweise hauptsächlich von Menschen im Alter 60 plus. Die Queer Studies sind in der Kunstgeschichte angekommen.

Elisabeth Priedl
Elisabeth Priedl, Kuppelhalle KHM, Foto: NiS

Plato und das dritte Geschlecht

Endlich. Denn queere Geschlechtskonstruktionen haben eine lange Tradition, wie Elisabeth Priedl zeigte. Schon bei Plato kommt das dritte Geschlecht vor, und Baldassare Castiglione schrieb in seinem 1528 erstmals gedruckten „Il Libro del Cortegiano“ davon, wie Elisabeth zitierte: „Weil ein Geschlecht allein Unvollkommenheit zeigt, schreiben die alten Theologen Gott beide zu“. Im Florenz der Renaissance sei Homosexualität zwar offiziell nicht erlaubt, allerdings weit verbreitet gewesen. Und die griechische Mythologie, die in der Renaissance ja ein großes Revival erlebte, habe eine ganze Reihe „genderfluider“ Göttinnen und Göttern gekannt: von Dionysos über Apollo bis hin zu Zeus. Elisabeth belegte diesen Einfluss mit einer Reihe von Abbildungen: Ein Apollo von Jan Gossaert knickt keck seine Hüfte, eine brustpanzerbewehrte Minerva von Bartholomäus Spranger im Kunsthistorischen Museum tritt auf eine Personifikation der Unwissenheit. 

Bartholomäus Spranger, Minerva als Siegerin über die Unwissenheit, um 1591
Bartholomäus Spranger, Minerva als Siegerin über die Unwissenheit, um 1591, © Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie

Femininer David

Besonders intensiv widmete sich Elisabeth dem Bronze-David von Donatello (um 1444/46): Dessen Darstellung verletzte, üblicherweise eine Unmöglichkeit, das „Decorum“, also die Konventionen. Und zwar nicht so sehr wegen seiner Androgynität, sondern weil sein Hut im Kontext der Florentiner Gesellschaft jener Zeit als Zeichen für homosexuellen Geschlechtsverkehr gelesen werden konnte. Und weil sich ein riesiger Flügel vom Helm des Goliath an sein Bein schmiegt – eine völlig unübliche und ziemlich erotische Zutat. Wenn man die Rückseite der Figur betrachtet, könnte man sie ebenso gut für eine Frau halten. Eine feminine Darstellung männlicher Gestalten war also durchaus nicht unüblich.

Donatello, David, ca. 1440
Donatello, David, ca. 1440, © RenArt88, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=15424623

Ehe mit 12

Weitaus weniger üblich dürften allerdings Frauenfiguren gewesen sein, die binäre Codes zwischen männlich und weiblich überschritten. Neben der erwähnten Spranger-Minerva brachte Elisabeth zwar am Schluss des Vortrags noch zwei Sybillen aus der Sixtinischen Kapelle. Doch auf meine Nachfrage meinte sie, dass es weitaus weniger maskuline Frauengestalten gebe. Was sie darauf zurückführt, dass Frauen seltener Auftraggeberinnen gewesen waren, überhaupt in der Renaissance kaum in der Öffentlichkeit standen, ja, sich bisweilen nicht einmal am Fenster zeigen durften. Und unsere Säulenheilige Artemisia Gentileschi habe mit 18 Jahren als zu alt zum Heiraten gegolten! Sehr häufig, erzählte Elisabeth, seien Mädchen schon mit 12 verheiratet worden.

So tolerant also die florentinische Gesellschaft offenbar männlicher Homosexualität gegenüber stand, so restriktiv zeigte sie sich Frauen und Mädchen gegenüber. Ein Wermutstropfen im Europride-Jubel.

Donatello David
Donatello, David, ca. 1440, © Patrick A. Rodgers – File:Florence – David by Donatello.jpg, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=8967887

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