Das Leben feiern, sogar todkrank: die Kunst der Barbara Hammer

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Es gibt eine wiederkehrende Wendung auf diesem Blog. Sie lautet in etwa: Jetzt erst? Ich weiß, das ist ein wenig redundant, aber diese ganze Feminismuskiste besteht eben aus dem Bohren dicker Bretter. Da böten sich zur aktuellen Schau im Franz Josefs Kai 3 beim Schwedenplatz ein paar Wortspielereien ein –angesichts des Namens der dort gerade ausgestellten Künstlerin, nämlich Barbara Hammer, geboren 1939 in Los Angeles, gestorben 2019 in New York. Aber lassen wir das. 

Barbara Hammer! Wieso kannte ich die noch nicht? Weil ich erstens ihre Retrospektive im Filmmuseum, kuratiert von Christiana Perschon (von der schon mal an anderer Stelle auf diesem Blog die Rede war), nicht gesehen und zweitens ihre kleine Schau im Neuen Kunstverein Wien ebenso verpasst habe. Aber auch, weil noch nie eine größere Institution in Wien sie jemals gezeigt hat. Das holt jetzt Kuratorin Fiona Liewehr nach, die für ihre Unternehmen nicht auf einen institutionellen Background zurückgreifen konnte, sondern die Sache mehr oder weniger im Alleingang organisierte. Was ich mir unwahrscheinlich mühsam vorstelle. 

Ausstellungsansicht, Franz Josefs Kai 21 (c) Simon Veres
Ausstellungsansicht, Franz Josefs Kai 21 © Simon Veres

Barbara Hammer umarmt uns

Wenn man den Raum der Ausstellung „Barbara Hammer. Women I love“ betritt, läuft man als erstes in eine Umarmung der Künstlerin, die eine mit weit ausgebreiteten Armen auf einem Plakat begrüßt. Wichtig war ihr, erzählt Fiona Liewehr, dass Hammer für sich selbst spricht. In einem Video erzählt die gebürtige Kalifornierin davon, wie sie aus einer traditionellen Ehe entkam und über die Malerei zum Filmemachen kam. Eine der Initialzündungen für Barbara Hammer waren die Arbeiten von Maya Deren, ihrerseits einer Ikone feministischen Experimentalfilms. Die frühen Arbeiten, entstanden in den Seventies, erinnern in manchen Einstellungen zum Beispiel an Derens „Meshes in the Afternoon“.

Barbara Hammer
„X“, 1975, © Estate Barbara Hammer, courtesy KOW, Berlin

Blickte bei Deren die Künstlerin sehnsüchtig aus dem Fenster, so präsentiert Hammer in einer ähnlichen Einstellung eine Frau, die in einem Wohnzimmer steht und aus dem Balkonfenster sieht. Es entstehen Blickwechsel mit einer Gruppe von Kindern, dazu spricht die Künstlerin aus dem Off: „These are the children I’m happy not to have.“ Kinderlosigkeit: großes Tabuthema damals, und eigentlich müssen sich Frauen auch heute noch dafür erklären. Insofern hat das nichts verloren an Aktualität, wie überhaupt so vieles in Hammers Arbeiten.

Lustvolle Lebensformen

Filme wie „Dyketactics“ feiern ein freies, lesbisches Leben und sind häufig in der Natur angesiedelt – nackte Frauen berühren einander. Vieles ist sexuell aufgeladen, aber auch symbolisch-surreal: etwa wenn die Protagonistinnen Eier legen oder Menstruationsblut auf weiße Tücher spritzen. Es sind Entwürfe für lustvolle Lebensformen jenseits der traditionellen Vater-Mutter-Kind-Familie. Häufig geht es dabei auch um das Sensitive, um die Körper selbst – etwa wenn Kameras langsam über Beine, Vulven, Brüste, Gesichter streichen, ähnlich wie in Yoko Onos „Fly“ (1971) oder später Pipilotti Rists „Pickelporno“ (1992). 

"Dyketactics", 1974 ©Estate Barbara Hammer, courtesy KOW, Berlin
„Dyketactics“, 1974 © Estate Barbara Hammer, courtesy KOW, Berlin

Mit diesen Arbeiten katapultierte sich Barbara Hammer, die nach ihrer Hetero-Ehe mit Frauen zusammenlebte, in die erste Reihe des queer-feministischen Experimentalkinos. Allerdings wurde sie in New York, wo sie später wohnte, anfänglich nicht ernstgenommen, erzählte mir Fiona.

History Lessons

Durch die Arbeiten zieht sich, trotz ihrer manchmal heftigen Themen, eine gewisse Leichtigkeit, Spontaneität, ein Humor und ein sicheres Gefühl für formale Spannungen und Reize. Auch in späteren Filmen manifestiert sich das: „History Lessons“ erzählt etwa von der Konstruktion von Geschichte. Dafür verwendet Barbara Hammer Archivaufnahmen, die sie auf der Tonspur so witzig konterkariert. Dann erklingt etwa zu zwei einander küssenden Frauen der Kommentar: „Sie haben dieselbe Energie [wie Männer] und trainieren mit derselben Härte.“

Barbara Hammer
„Nitrate Kisses“, 1992, Production Still (c) Frances Lorraine. Sally Binford)

Ähnlich am Grat zwischen Witz und Tragik balanciert der Film „Sanctus“. Da tauchen Röntgenaufnahmen von Menschen auf, die sich schminken oder rasieren und bewegen sich, begleitet von wildem, buntem Flackern im Hintergrund. Einerseits führt uns die Künstlerin die Fragilität des Körpers vor, in den wir hineinschauen, andererseits wirken die Skelette in ihren Alltagshandlungen ziemlich schräg. Die X-Rays hat Hammer übrigens in einem Archiv vorgefunden und selbst animiert.

Barbara Hammer Sanctus
„Sanctus“, 1990 © Estate Barbara Hammer, courtesy KOW, Berlin

Hundert Chemos

Am Ende der Ausstellung geht es dann echt an die Nieren. Denn Barbara Hammer erkrankte an Krebs. Ihre über hundert Chemotherapien verarbeitete sie in dem Film „A Horse is Not a Metaphor“, in dem sie Aufnahmen aus dem Spital mit solchen von Pferden kombiniert. Meredith Monk hat übrigens die Musik dazu gemacht. „Sie haben Krebs in Stadium 3“: Zu dieser Diagnose lässt Monk einen Schrei ertönen. Dazwischen geht Hammer ohne Kleidung durch den Wald. Wie vierzig Jahre zuvor: ein nackter Körper, der sich durch die Natur bewegt. „Ich gehe, ein Gespenst meiner selbst, aber ich gehe“, sagt sie. So viel todkranke Lebensfreude: Es rührt an die Seele. 2018 starb Hammer an dem Krebs, nicht ohne zuvor in einem Video für Sterbehilfe eingetreten zu sein. Aktivistin bis zuletzt.

Ausstellungsansicht, Franz Josefs Kai 21 (c) Simon Veres
Ausstellungsansicht, Franz Josefs Kai 21 © Simon Veres

Fiona Liewehr ist eine schön zusammengestellte Retrospektive gelungen. Man würde sie sich in einem größeren Haus wünschen, mit mehr großen Projektionen als hier, mit ein wenig Platz dazwischen zum Flanieren und Durchatmen, und einem dicken Katalog, der Barbara Hammers Werk auch im deutschsprachigen Raum bekannter macht. Aber vielleicht wird das ja noch. Mumok, wie wär’s? 

„Put a lesbian in the White House“, 1980

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