Magdelena aus Kroatien wurde von ihrem besoffenen Mann geschlagen. Joriyawan aus Thailand wurde von ihrem Vater mit Ermordung bedroht, er wollte sich an ihrer Mutter rächen. Francine aus Luxembourg ist Opfer häuslicher Gewalt. Die Geschichten der Frauen, alle unter Pseudonym, werden lakonisch und knapp auf Schildern erzählt. Diese sind auf Sockel montiert, auf denen Gipsmasken der jeweils Betroffenen stecken. Sanja Iveković,1949 in Zagreb geboren, vereinte sie in ihrer Arbeit „Ženska kuća“ (deutsch: „Frauenhaus“).

Man betritt die Installation unmittelbar beim Eingang in ihrer Ausstellung „Sanja Iveković. Works of Heart (1974-2022)“ in der Kunsthalle Wien. Eine ganze Armada an Frauen, aufgestellt in einem Raster: eine stumme und gleichzeitig doch laute Anklage des Umstandes, dass immer und überall auf der Welt männliche Gewalt gegenüber Frauen stattfindet, und dass zu wenig dagegen passiert. Ich sage nur: 27 Femizide in Österreich allein heuer!
Die Ausstellung zählt zu den vielen gelungenen Projekten, mit denen uns das Leitungstrio WHW seit einigen Jahren in der Kunsthalle beglückt, etwa auch jener über die feministischen Videokollektive, die auf artemisia.blog eingehend besprochen wurde.

Iveković ist längst eine Ikone der feministischen Kunst – so auch ihre Plakatarbeit „GEN XX“ (1997-2001), bei der sie Bilder von Supermodels aus Zeitschriften mit den Namen (zumeist hingerichteter) Partisaninnen ergänzt. Eine der hier Porträtierten – ausnahmsweise als sie selbst – ist Nera Šafarić, ihre mittlerweile verstorbene Mutter. Sie war Dichterin und überlebte Auschwitz. Ein Buch mit ihren Gedichten brachte Iveković nun kürzlich anlässlich der Ausstellung heraus. Was für ein schönes Gedenken an ihre Mutter, die eine ungeheuer beeindruckende Frau gewesen sein muss.

Der Titel der Ausstellung „Works of heart“, ist, wie Kuratorin Zdenka Badovinac bei einer Führung erzählte, mehrfach lesbar. Zum einen bezieht er sich auf ein gleichnamiges Werk der Künstlerin: Groß aufgeblasen hängt die Reproduktion eines Inserats der New York Times an einer Wand, auf der eine Kette mit Herzanhänger zu sehen ist. Dieses war neben einem Foto abgedruckt, auf dem eine Verletzte bei dem entsetzlichen Massaker auf einem Markt in Sarajewo 1994 abgebildet ist. Indem Iveković es ins Monumentale vergrößert präsentiert, zeigt sie die Absurdität und den Zynismus massenmedialer Logik auf.
Vergesst die Sentimentalitäten!
Andererseits spielt der Titel der Schau auch auf die sentimentalen Versprechen romantischer Liebe an, so Badovinac. Schon bevor die Soziologin Eva Illouz 2007 in ihrem Buch „Der Konsum in Zeiten der Romantik“ analysierte, mit welchen Mitteln der Kapitalismus die Vorstellungen von Liebesbeziehungen prägt, montierte Iveković in ihrer Serie „Doppelleben“ 1975 Werbeanzeigen für Parfums, Tampons, Unterwäsche und viel anderes neben private Fotoaufnahmen und zeigte damit auf, wie sich in Sachen weiblicher (Selbst-)Repräsentation Werbung und Privates gegenseitig beeinflussen. Und lange vor der Bildtheorie von W. J. T. Mitchell riss und kratzte Iveković Löcher in Zeitungsausschnitte von sexy Models („Papierfrauen“, 1977-78) und piercte das Gesicht einer anderen mit bunten Stecknadeln („Make-Up“, 1979).

Bei vielen Arbeiten stockt einer buchstäblich der Atem – auch bei den Plakaten, in denen sonnenbebrillte Frauen Missbrauchsgeschichten überlagern. Darin stellt sich unter anderem drastisch heraus, wie sehr der Krieg in Ex-Jugoslawien Männer weiter brutalisierte und plötzlich ethnische Zugehörigkeiten im privaten Haushalt zu Repressalien und erhöhter Gewahlt führten. Iveković geht mit ihren Arbeiten direkt dorthin, wo es weh tut.
In jüngster Zeit griff sie die Pandemie auf. Dabei bezieht sie sich auf das berühmte Plakat der Guerrilla Girls, „The Advantage of being a Women Artist“, das sie mit den Worten „in Quarantine“ erweitert. Was sind so die „Advantages“? Die Künstlerin listet sie auf, unter anderem: „Being free to keep a social distance from curators“ und „Seeing your ideas spreading like a virus“.
Frosch bleibt Frosch
Obwohl Iveković viele Themen bearbeitet – ebenso etwa den Massenmord an Rom*nja und Sinti*zze, überhaupt Unterdrückung und Diktatur, Flucht, die Betrachtung und Instrumentalisierung von Geschichte – so zieht sich ihr feministisches Anliegen durch, und natürlich haben viele ihrer Arbeiten überhaupt nichts an Aktualität eingebüßt. Selten wird es mal humoristisch, wie etwa in ihrer Zeichnungsserie „Auf die Revolution wartend (Alisa)“ von 1982. Da blickt eine Frau auf einen Frosch, der von Bild zu Bild die Farbe wechselt – partout will er sich nicht in einen Prinzen verwandeln.
![Sanja Iveković, Ženska kuća (Sunčane naočale) [Frauenhaus (Sonnenbrillen)], 2002–heute, Courtesy die Künstlerin und Gallery 1 Mira Madrid](https://i0.wp.com/artemisia.blog/wp-content/uploads/2022/10/sanja-ivekovic-sunglasses-doppelsujet1.jpg?resize=810%2C600&ssl=1)
Courtesy die Künstlerin und Gallery 1 Mira Madrid
Großartig, wie Iveković Ästhetiken aufgreift und sie inhaltlich umdeutet, ganz im Sinn des situationistischen détournement. Ebenso bestechend: ihre performativen Arbeiten wie etwa jene von 1977, wo sie im Museum für zeitgenössische Kunst in Zagreb hre Herztöne – auch das übrigens ein Bezug zum Ausstellungstitel – per Lautsprecher in den Raum übertrug. Wie viel hat sie vorweggenommen! Gut, dass wir ihre Arbeiten in Wien mal in aller Ausführlichkeit sehen können, nachdem die Generali Foundation, die sie hier immer wieder zeigte, schon länger wieder Geschichte ist.
Früher durfte es immer nur DIE EINE Künstlerin geben (ihr wisst schon: Lassnig für die Malerei, Valie Export für die Performance usw.). Mittlerweile hat sich das verändert. Aber vielleicht darf es immer noch nur DIE EINE Künstlerin vom Balkan geben. Die Stelle ist aktuell von Marina Abramović besetzt. Sie, Cindy Sherman, Barbara Kruger und so viele andere Künstlerinnen, von Künstlern gar nicht zu sprechen sind berühmter als Sanja Iveković – einfach, weil sie nicht aus Ex-Jugoslawien, sondern aus den USA kommen. Dort, wo sie sind, dort gehört auch Iveković hin.
Begleitprogramm
Zur Ausstellung in der Kunsthalle gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm:
Die Erste Bank zeigt den Film „The Invisible Women of Erste Campus“, die Brunnenpassage die (auch in der Kunsthalle präsentierte Serie) „Ženska kuća (Sunčane naočale)“, und das Filmmuseum Wien am 24. November eine Auswahl an Videoarbeiten.