Nil Yalter, 80, early adopter.
Schon öfter fiel mir auf, dass ältere Künstlerinnen technologisch oft total up to date sind (während nicht wenige männliche Kollegen die Neuerungen des 21. Jahrhunderts als Teufelszeug abtun). Die eine kommuniziert bevorzugt über Whatsapp, die andere erzählt von den neuesten Computerprogrammen, die dritte entdeckt plötzlich die Augmented Reality. Auch Nil Yalter ist so eine. Nicht immer muss man ein digital native sein, um zu den early adopters zu gehören!

Auf Einladung von Kunstraum Niederösterreich und Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich präsentierte die 80-Jährige letztens im Kunstraum ihre Arbeiten. Danach sprach sie mit der Kuratorin Katalin Erdődi darüber. Schon seit 1998 arbeitet sie mit digitalen Images. Ihre älteren Video- und Installationsarbeiten kamen ebenso zur Sprache wie ein neueres Video, an dem sie gerade arbeitet: „Niqab Blues“ heißt es und soll demnächst fertig werden.

Sie sog dafür Bilder aus dem Internet, von Frauen, die aus dem Iran oder Syrien nach Europa geflohen waren und ihren Niqab ablegten. Weil sie aber aus irgendwelchen Gründen in ihre Heimat müssen, ziehen sie ihn wieder an. Die Bilder sind bedrückend. Immer wieder schiebt eine das schwarze Tuch über ihren Kopf. Frauen, die unter Massen von schwarzem Stoff verschwinden. Dazwischen erschienen Inserts, die wie bei einem Videospiel immer größer werden. „She has no choice“, steht da. Oder, neben einer gänzlich Verhüllten, die eine Brille trägt: „I am sad. I want to work. I should be able to chose what I wear.“ Immer und immer wieder erscheinen die Bilder, ziehen sich über Kuben, formieren sich zu Rastern und Kreisen. Zutreffend bemerkte Katalin Erdődi, dass diese Multiplikation der Images – bei Yalter häufig – eine kollektive Erfahrung anspreche. Man sieht Frauen, die den Niqab verbrennen, in hoch stilisierten, kaum erkenntlichen Bildern.

In der Arbeit von Nil Yalter erscheint der Niqab als Gefängnis. Eingesperrte Frauen: Das ist schon ein großes Thema in ihrer Arbeit, seit sie den Alltag von Gefängnisinsassinnen zum Gegenstand einer Serie machte („La Roquette“, 1974). 1965 kam die Künstlerin, die sich selbst eine „marxistische Feministin“ nennt, aus Istanbul nach Paris, wo sie seither lebt. Noch heute kann sie sich darüber ärgern, wie marginalisiert Frauen dort damals waren: „In Paris fand ich Frauen in einer furchtbaren Situation vor. In der Türkei waren wir damals weiter!“ Ungewöhnlich ist, was sie an diesem Abend über ihre Mutter erzählte. Die habe sie nämlich aufgefordert, unabhängig zu bleiben. „Du hast Talent, geh und mach Kunst‘, sagte sie. Kinder kriegen ist nicht die beste Option!‘“ Ein guter Rat. Vielen Dank, Frau Yalter senior. Wo immer Sie jetzt sind.
