Das Schöne (und auch ein wenig Unvorhergesehene) an diesem Blog ist, dass plötzlich eine ganze Menge Hinweise an mich herangetragen werden: Wo wieder einmal kaum Künstlerinnen präsent sind oder welche feministischen Kunstprojekte im Laufen sind. Manchmal kommen sie auch von Sonntagskünstlerinnen, die sich nie tatsächlich ernsthaft mit Kunst befasst haben und über die ich kein Wort schreiben will. Denn, wie sagen unsere männlichen Quotenverweigerer so gern: Nur die Qualität zählt! Dieser Forderung kann ich mich nur anschließen. Denn wir können gleich einpacken, wenn wir diesen Anspruch aufgeben. Glücklicherweise müssten wir das nicht einmal, wenn wir dort und da eine 100-Prozent-Frauenquote einführen würden. Das führt mich zum Kunsthaus Zürich.
15 Prozent
Eine Künstlerin, die mir immer wieder schreibt (dezidiert keine Sonntagskünstlerin, Anm. 27.11.), ist die Schweizerin Elisabeth Eberle. Oft erzählt sie von Ausstellungen oder Projekten mit niedrigem Frauenanteil, und in ihrem Archiv sammelt sie Material zum Thema.

Seit längerem beobachtet sie die Künstlerinnenpräsenz in Schweizer Museen. Zahlenmaterial gibt es dazu genug: Die Journalistinnen Alexandra Kohle und Céline Stegmüller leisteten verdienstvolle Datenrecherche und publizierten ihre Erkenntnisse auf swissinfo.ch. Das Kunsthaus Zürich tat sich nicht besonders hervor. Laut swissinfo zeigte es von 2008 bis 2018 nur 15 Prozent Künstlerinnen in Einzelausstellungen. Dieses Jahr überhaupt keine einzige, und nächstes gibt’s dann wieder ein weibliches Solo. Mehr ist da nicht drin. Und viele befürchten, dass sich die Lage nicht drastisch ändert, wenn 2020 der aufwändige Neubau des Kunsthauses eröffnet wird.
Protest per Post
Also startete ein Gruppe von Frauen, der meine Brieffreundin Elisabeth Eberle angehört, eine witzige Aktion, simpel wie effizient: Sie bat Personen, die an einer Gleichstellung von Künstlerinnen im Kunsthaus interessiert sind, Postkarten dazu an das Museum zu schicken. Nicht diese vorgefertigten Mails, wie man sie von anderen Protesten kennt, sondern analoge, individuell geschriebene und gestaltete Papierstücke.
Das Vorgehen erinnert an feministische Aktionen der Seventies, doch einen Unterschied gibt es: Das Bürgertum schließt sich dem Protest an. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ein riesiger Verein das Kunsthaus trägt, die Kunstgesellschaft mit 19.000 Mitgliedern. Es sind keineswegs nur linke, feministisch agierende Künstlerinnen, die sich am mickrigen Frauenanteil stoßen.
„Sachfremd und unfair“
So zitiert Elisabeth Eberle die Nachricht eines Zürcher Arztes: „Einerseits schäme ich mich als Mann und Zürcher und schäme mich auch fremd (für Sie), dass eine so grosse Kunstinstitution in der Stadt Zürich in der heutigen Zeit noch derart einseitig männerlastige Ausstellungsprogramme vorlegt. Frauen werden auch heute noch praktisch nie berücksichtigt, das ist sachfremd und unfair. Sollten Sie argumentieren, dass männliche Künstler berühmter oder qualitativ besser seien und mehr Zuschauer anziehen, dann wäre das nicht weniger peinlich […] Ausserdem gäbe es ja wohl auch kreativere Ausstellungskonzepte als nur Einzelausstellungen meist alter Männer. Anderseits stört mich die Geschlechtereinseitigkeit auch als Steuerzahler und Bürger. Wenn mein Steuergeld von meinen politischen Vertretern nicht auf gute Kunst beider Geschlechter verteilt wird, fühle ich mich vom Weltbild meiner Vertreter ebenso verschaukelt wie von den übrigen Mitgliedern der Kunstgesellschaft, den Kuratoren und weiteren Beteiligten.“

Zeigen Sie, was Sie drauf haben!
Eine Theaterfrau in Rente legt ihre Nachricht versöhnlicher an: „Glückwunsch zum grossartigen Neubau! Nun gilt es, das Innere mit neuen Ideen zu füllen. Zum Beispiel mit mehr Künstlerinnen. Die Tate Modern in London holte in diesem Jahr die russische Malerin Natalja Gontscharowa (1881-1962) aus der Versenkung – mit grossem Erfolg. Und was die Tate Modern kann, kann das Kunsthaus Zürich schon lange! Zeigen Sie, was Sie drauf haben in Sachen Kunst von Frauen.“ Jemand anderer schreibt: „Es ist mir seit längerer Zeit aufgefallen, dass sehr wenige Künstlerinnen in ihren Ausstellungen und in der Sammlung des Kunsthauses vertreten sind. Ist das zeitgemäss und noch vertretbar? Ich wünsche als langjähriges Mitglied Ihrer Kunstgesellschaft, dass zukünftig eine angemessene Vertretung von Künstlerinnen in ihrem Haus ausgestellt werden. Wie wäre es mit 50 %?“
Fünf Jahrhunderte Männerkunst
Die Organisatorinnen, die den Protest per Mails und Mundpropaganda in Umlauf brachten, schätzen die Anzahl auf mehrere hundert Karten. Der Pressesprecher des Kunsthauses, Björn Quellenberg, schreibt auf meine Anfrage: „In den letzten Wochen gingen mehrere Dutzend Postkarten ein, die eine Stärkung weiblicher Positionen fordern.“ Er verweist darauf, dass die kuratorischen Positionen im Kunsthaus zur Hälfte von Frauen besetzt seien. 2020 werde außerdem in der Gruppenausstellung „Schall und Rauch“ ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis entstehen (aktuell zählt man acht Künstlerinnen bei insgesamt 25 Positionen, aber das kann sich ja noch ändern), und nächstes Jahr zeige das Museum schließlich eine Künstlerin in einer Einzelausstellung. Dann klärt er mich noch darüber auf, dass Frauen erst im 19. Jahrhundert zu Kunstakademien zugelassen wurden und die Sammlung, die einen Zeitraum von 500 Jahren umfasst, schon allein deswegen mit 89 Prozent von Männern dominiert ist.
Das wäre schon stimmig, wenn die Schaffenszeiten der Künstlerinnen und Künstler, die das Haus in Soloshows zeigt, über die Jahrhunderte verteilt wären. Der Schwerpunkt liegt aber beim 20. und 21. Jahrhundert. Und davon zeigt man more of the same (wie Picasso – Gorky – Warhol oder Olafur Eliasson). Aber vielleicht könnte das Kunsthaus auch mal Berlinde de Bruyckere oder Etel Adnan, von denen es Werke angekauft hat, Soloshows widmen. Vielleicht sogar beiden in einem einzigen Jahr. Denn ein Frauenanteil von 15 Prozent ist auch unter den gegebenen Umständen ziemlich enttäuschend.
Künstlerinnen „fördern“?
Zur Kunsthaus-Erweiterung schreibt der Pressesprecher, man könne die als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellten Sammlungen nun mal nicht ändern, sei aber dran, „sowohl die Präsenz weiblicher wie auch aussereuropäischer Künstlerinnen und Künstler unter den ausgestellten Werken zu verstärken, da uns die Förderung beider ein Anliegen ist.“
Jetzt soll man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Aber dass die Präsenz von weiblicher und außereuropäischer Kunst mit dem Begriff „Förderung“ assoziiert wird, erscheint mir symptomatisch. Doch es soll nicht darum gehen, Künstlerinnen zu fördern. Es soll darum gehen, ein gerechteres Bild vom Kunstschaffen zu zeigen. Und da kann man durchaus auch rückwirkend tätig werden. Kunstgeschichte ist nicht für immer und ewig festgeschrieben.

Eine wunderbare Beschreibung von Elisabeth Eberle, sehr präzise. Ich bewundere Elisabeth und ihre Kunst sehr.
Liebe Nina Schedlmayer, danke für diesen Beitrag aus Wien, der sehr schön in die Unterscheidung von Förderung (Entwicklungshilfe) und Gerechtigkeit (es gibt heute genauso viele talentierte weibliche Künstler wie männliche) mündet. Um Gerechtigkeit zu verlangen, gibt es ein probates Mittel, ein unglaublich simples, und das ist das Zählen.
Unglücklich bin ich nur mit Ihrem Framing: Was haben denn die Sonntagskünstlerinnen mit den Fakten zu tun? Und warum schreibt Ihnen eigentlich kein einziger Sonntagskünstler? Und können Sonntagskünstlerinnen nicht gleichwohl zählen? Bedrohlich nahe steht dieses herabwürdigende Wort ausserdem zu Elisabeth Eberle, die zwar keine Gagosian-Künstlerin ist, dennoch keine Sonntagskünstlerin, und dies jenseits ihrer Zählarbeit.
Mit herzlichem Gruss, Ihren pointierten Artikel sonst sehr wertschätzend
Susann Wintsch
Liebe Susann Wintsch, vielen Dank für den Kommentar. Über den ersten Teil freue ich mich, zum zweiten möchte ich gerne festhalten: Natürlich ist Elisabeth Eberle KEINE Sonntagskünstlerin! Ich will nur darauf pochen, dass mich nur Kunst interessiert, die mit einer gewissen Seriosität geschaffen wird. Und Nachrichten von Sonntagskünstlern haben mich in Zusammenhang mit diesem Blog schlichtweg noch nicht erreicht. Der Terminus mag flapsig gewählt sein, doch in meinen Augen ist es sehr wichtig, gerade in diesem Diskurs zu unterscheiden zwischen denen, die Kunst ernsthaft betreiben und jenen, für die es weniger Notwendigkeit denn Hobby ist.
Ich konnte es nicht glauben. Mit der kunsthaus-Mitglied Karte kam noch ein Einzahlungsschein für eine Spende (!)
Ich würde gern was geben aber eben als Frau goutiere ich den 15% Frauenanteil nicht. Das müsste gewaltig bessern.
Vielleicht hilft es wirklich, hier Druck zu machen. Wenn viele Menschen sich genau in dieser Art äußern, dann kann das nicht mehr ignoriert werden.
Ich kenne diese Elisabeth Eberle, die hier als eine originelle Drahtzieherin in Ihrem schönen blog im Hintergrund aufscheint, eine Frau, die nicht nur aufregende und oft genug verstörende Kunst macht, die eine Menge mit weiblichen Rundungen und männlichen Erregungen aller Art zu tun hat, sondern dazu auch noch ein Gehirn besitzt, das tatsächlich so präzise tickt wie nur irgendein männliches der feineren Art. Sie ist zudem naturwissenschaftlich geschult und hat mal einen ETH-Abschluss aufs Parkett gelegt, falls jemand denken sollte, die könne nicht denken. Sie kann denken. Wenn jemand wie sie sich in einer Frage wie der vorliegenden stark engagiert, dann hat das Hand und Fuss und ist als Projekt über die Jahre in ihr gereift. Es ist toll, clevere Kämpferinnen dieser Art an hoch engagierter Arbeit „für die gute Sache“ zu wissen. Das bringt was, nur das, nicht die abgelutschte Opferrolle und
auch nicht die Gehässigkeit, nur Fakten, Fakten und noch mehr Fakten. Danke! Andrea Gysling
Ich hoffe, sie auch einmal face to face kennenlernen zu dürfen. Inzwischen freue ich mich darüber, dass uns dieser Blog zusammengebracht hat.