Was war ich ignorant! Wie wahrscheinlich viele andere kannte ich Dora Maar vor allem in einer Rolle: als Geliebte Picassos, die dieser obsessiv porträtierte. Da mich diese ganzen Machogeschichten über ihn und seine Love Interests einfach kalt lassen, diese verklärenden Genie-und-Muse-Erzählungen, interessierte mich folgerichtig auch Dora Maar nicht. Oder würdet ihr ein Buch mit dem Titel „Dora Maar – Picassos geheimnisvolle Muse“ lesen? Eben. Eine mittelmäßige Künstlerin, die zwischendrin ein paar eh ganz okaye Sachen gemacht hat, bedauerlicherweise einem Mann verfiel und sich dann aufgab. So mein Vorurteil.

Dora Maar, vorne dabei
Und dann, unlängst im Centre Pompidou, sah ich ihre große Retrospektive, 400 Exponate. Was für eine Offenbarung! Als junge Frau führte Dora Maar ein Fotostudio, schoss innovative Modefotografien für renommierte Zeitungen. Dann gestaltete sie surrealistische Fotomontagen. Da war sie früh dran und vorne dabei. Einfach großartig! Außerdem war sie eine engagierte Sozialdokumentaristin. Auf ihren Fotos zieht sich eine alte Bettlerin ihren Mantel um die Schultern, stülpt ein Mann seine Lippe so über den Mund, dass dieser zu verschwinden scheint. Warum Bilder wie diese nicht längst zu den Ikonen der Fotogeschichte zählen, weiß ich nicht. Später schuf sie dann abstrakte Fotografien: auch toll.

Ich war also ziemlich frohen Mutes, als ich die Ausstellung verließ. Toll, dass das Centre Pompidou Dora Maar als Künstlerin präsentiert. Außerdem hatte das Haus 2009 eine Schau gezeigt, die ausschließlich mit Werken von Künstlerinnen aus den Beständen des Museums bestückt war, fast legendär mittlerweile: elles@centrepompidou. Übrigens nach dem Lentos, wo Stella Rollig schon 2004 dasselbe machte. Das Centre Pompidou, ein Hort des Feminismus, der Gleichstellung also, hurra! Oder?

Cherchez la femme
Der Eindruck bestätigte sich leider nicht. Denn im Stockwerk drunter läuft gerade eine Schau mit dem Titel „Préhistoire. Une énigme moderne“. Nicht uninteressant, darüber, wie Moderne und Gegenwartskunst die Vor- und Frühgeschichte reflektieren. Ansprechend aufgezogen, thematisch spannend gesetzt. Und ziemlich umfassend. Aber: Cherchez la femme! Nur ganz wenige weibliche Positionen sind hier zu finden. Echt enttäuschend. Ich glaube nicht, dass man bei diesem Thema weiß Gott wie lange suchen hätte müssen, um Künstlerinnen zu finden. Aber die awareness schlägt sich selbst in einem progressiven Haus wie diesem offenbar nicht in allen Projekten nieder. Man arbeitet also einerseits das Werk einer Künstlerin in einer breiten Soloshow neu auf. Andererseits lässt man Künstlerinnen wenig mitplaudern, wenn es um eine thematische Ausstellung geht.
Und genau so soll es nicht sein! Feminismus muss Querschnittmaterie werden. In allen Museen und Institutionen, zumindest jenen des 20. und 21. Jahrhunderts. Wie lange dauert das denn noch?
