Wie eine gute Party: „Female Sensibility“ im Lentos Kunstmuseum Linz

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Es ist erstaunlich und wirklich bewundernswert, wie die Sammlung Verbund innerhalb weniger Jahre das Bild der Kunst in den 1970er-Jahren verändert hat. Die Leiterin Gabriele Schor setzt ganz auf die feministische Kunst dieser Zeit, erfand dafür den Namen „Feministische Avantgarde“, der mehr oder weniger in den Sprachgebrauch einging, und dank ihr sind auch einer breiteren Kunstöffentlichkeit Namen wie Birgit Jürgenssen, Martha Wilson und Annegret Soltau bekannt. 

Daran kommt man nicht vorbei: Sammlung Verbund

Wenn man einen Blog zu Kunst und Feminismus betreibt, dann kennt man diese Sammlung natürlich halbwegs. Und so war meine Erwartungshaltung an die Ausstellung in Linz, im Lentos, „Female Sensibility. Feministische Avantgarde aus der Sammlung Verbund“ eher die, das anzutreffen, womit ich bereits halbwegs vertraut bin. Und das war ja auch da: Arbeiten von Margot Pilz, Anita Münz, Ketty LaRocca, Renate Bertlmann, Penny Slinger, Judy Chicago und so weiter. Doch es war wie bei einer guten Party, einem Fest, wo man nicht nur Bekannte trifft, sondern auch neue Leute kennenlernt, mit denen man gleich super ins Gespräch kommt. Daher gibt es an dieser Stelle keine klassische Ausstellungsbesprechung (die findet ihr in der Zeitoder im Standard), sondern die fünf für mich aufregendsten Neuankäufe der Sammlung Verbund. In alphabetischer Reihenfolge.

Elizabeth Catlett (1915-2012): Die Folter der Mütter, 1970/2003

Elizabeth Catlett: The Torture of Mothers, 1970/2003
Elizabeth Catlett: The Torture of Mothers, 1970/2003 © Estate Elizabeth Catlett / Courtesy Lusenhop Fine Art, Cleveland Ohio / Bildrecht, Wien 2021 / Sammlung Verbund, Wien

Dieses Bild traf mich heftig. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass ich gerade Colson Whiteheads „Underground Railroad“ las, der die unvorstellbar entsetzliche Sklaverei in den USA schilderte. Catlett, die in den 1960er-Jahren in der Black-Power-Bewegung war, lässt im Kopf einer Frau eine Figur – ist es ihr jugendliches Kind? – brennen. „Die Folter der Mütter“ heißt es, und für mich entsteht hier eine ganz neue Konnotation von Mutterschaft als bei Werken weißer feministischer Künstlerinnen. Hier geht es nicht um diesen ganzen Komplex von Kinderbetreuung und Geschlechterrollen, die Frauen ans Haus ketten, sondern um jenen großen Schmerz, den das Leiden von Kindern bei Müttern hervorruft. Eine spannende Perspektive, die die Bedeutung von Intersektionalität unterstreicht.

Orshi Drozdik (*1946): Individuelle Mythologie, Käfig, 1977

Orshi Drozdik:
Orshi Drozdik: Individuelle Mythologie, Käfig, 1976 © Orshi Drozdik / Bildrecht, Wien 2021 / Sammlung Verbund, Wien

Diese Wahl ist nicht ganz objektiv. Denn seit einiger Zeit besitze ich ein Werk von Orshi Drozdik. Das ist also hier die Transparenzpassage. Auf meinem Blog hab ich auch schon darüber geschrieben. Dann kaufte auch die Sammlung Verbund einige Werke von Drozdik, darunter dieses hier aus der Serie „Individuelle Mythologie“. Darin sitzt die Künstlerin in einem Käfig, Symbol für die Unterdrückung durch das Patriarchat, das sich ja durch die feministische Kunst zieht. Wie die Professorin Anna Kérchy schreibt, ist es die Aufzeichnung einer Perfomance, wo sich die Künstlerin gewissermaßen selbst aus ihrem Gefängnis befreit und Handschellen abstreift – ein „Aufbegehren gegen die Versklavung durch die unterwürfigen Geschlechterrollen“, so Kérchy.

Eulàlia Grau (*1946): Familien, 1974

Eulàlia Grau: "Famílias", 1974 © Eulàlia Grau / Courtesy Ediciones Originales, Barcelona / Sammlung Verbund Wien
Eulàlia Grau: „Famílias“, 1974 © Eulàlia Grau / Courtesy Ediciones Originales, Barcelona / Sammlung Verbund Wien

Es ist das dritte Bild von oben, das mich aufgeregt hat: Die Frauen knien am Boden, auf einer von ihnen stützt der Mann seine Hand – er tut, als würde er sie beschützen, dabei hält er sie unten. Die Fotos spanischer Großfamilien, die Eulàlia Grau verwendete, stehen im Kontext der Post-Franco-Ära. Die Familie als gesellschaftliches Ideal, mitsamt ihrem Potenzial zur Unterdrückung von Frauen wurde ja von vielen Diktaturen propagiert, und natürlich auch vom Kapitalismus. Bei Grau kreuzt sich dies in der Kombination aus Großfamilienfotografien und Haushaltsgeräten, wie sie auf sogenannten „Hochzeitslisten“ stehen – Arbeitsgeräte für die Ehefrau und zukünftige Mutter, auf dass sie ihre Rolle hinterm Herd bitteschön gleich bei der Heirat internalisieren möge. Das bewirkt natürlich dasselbe wie heute irgendwelche Beauty-, Baby- und Kuchenblogs, die das Idyll daheim propagieren: Es hält uns fern von gesellschaftlicher Partizipation! Mit zunehmendem Alter geht mir das immer mehr am Hammer.

Dindga McCannon (*1947): Schwangere Frau, 1969

© Dindga McCannon / Courtesy Lusenhop Fine Art, Cleveland Ohio

Auch so eine Künstlerin, von der ich zuvor nie gehört hatte. Auf den ersten Blick erinnerte sie mich an Auguste Kronheim, deren Holzschnitte nicht weit von denen McCannons hängen. Und doch ist es ganz etwas anderes: Während Kronheim einen drastischen Zugang wählt, zeigt Dindga McCannon die melancholisch-mitfühlende Darstellung einer einsamen nackten Schwangeren. McCannon ist Autodidaktin und arbeitet, wie die Kuratorin Kalia Brooks Nelson im Katalog der Sammlung Verbund schreibt, mit Techniken der Volkskunst, auch solchen wie Nähen, Quilten und Stricken. Im Hintergrund der Schwangeren gibt ein Fenster den Blick frei auf einen Berg und eine stilisierte Sonne. Laut Nelson ist das Werk von McCannon im Kontext der Schwarzen Protestkultur zu sehen – ihre wolkige Argumentation überzeugt mich zwar nicht so ganz, umso mehr dafür dieses starke Bild. 

Marianne Wex (1937-2020): Erobern wir unseren Raum zurück: „Weibliche“ und „männliche“ Körpersprache als Folge patriarchalischer Strukturen (Bein- und Fußhaltungen), 1977/2018

Marianne Wex: Erobern wir unseren Raum zurück: ‚Weibliche‘ und ‚männliche‘ Körpersprache als Folge patriarchalischer Strukturen (Bein- und Fußhaltungen)], 1977/2018 © Marianne Wex / Courtesy Tanja Leighton, Berlin / Sammlung Verbund, Wien
Marianne Wex: Erobern wir unseren Raum zurück: ‚Weibliche‘ und ‚männliche‘ Körpersprache als Folge patriarchalischer Strukturen (Bein- und Fußhaltungen)], 1977/2018 (Ausschnitt) © Marianne Wex / Courtesy Tanja Leighton, Berlin / Sammlung Verbund, Wien

Diese Fototafeln zeigen drastisch, wie Frauen physisch marginalisiert werden – oder sich vielleicht gar selbst marginalisieren? Egal, ob es sich um die Kinder des König Juan Carlos von Spanien handelt oder Rainer Werner Fassbinder und Hannah Schygulla, es ist immer dasselbe Bild: Er hockt breitbeinig da, nimmt Raum ein, während sie die Beine aneinanderpresst und sich klein macht. Enge Röcke tun ihr übriges: Man will ja nicht, dass einem wer auf die Unterhose schaut. Jahrzehnte nach der Entstehung dieser großartigen Arbeit, die mich halt leider noch immer ein bissl wütend macht, erfand jemand den richtigen Begriff dafür: Manspreading. Also, Schwestern: Nehmen wir uns endlich den Raum, der uns zusteht! 

Und fahren wir nach Linz. Im Francisco Carolineum laufen übrigens auch grad Ausstellungen von Gina Pane und Geta Brătescu.

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