„Zeit ist’s!“: Elde Steeg, Fotografin, Zeichnerin, Collagistin, frühe Feministin

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Ein Anliegen dieses Blogs ist es, das Werk älterer oder verstorbener Künstlerinnen in den Blick zu nehmen. Überhaupt, wenn es lange dem Licht der Öffentlichkeit entzogen war. Schon seit einigen Jahren brechen ja Museen und Galerien den Kanon auf. Umso mehr erstaunt eine dann, was noch alles vor sich hin dümpelte. Ungesehen, unerkannt, ungeschätzt. Nun förderte das Tiroler Ferdinandeum eine bemerkenswerte Künstlerin zutage, von der ich bis vor kurzem noch nie gehört habe: Elde Steeg nannte sie sich, mit bürgerlichen Namen hieß sie Elfriede Stegemeyer.

Die Frauen und die Brötchen

Andreas Sladky, ein Kurator des Museums, schrieb seine Dissertation über die Fotografin, Zeichnerin, Malerin, Illustratorin, Collagistin, jetzt gestaltete er, gemeinsam mit Bereichsleiter Florian Waldvogel, die Ausstellung „Elde Steeg. Die Frauen machen die Brötchen“ in der Serie „Begehbare Gedanken“.

Blick in die Sammlungspräsentation „Elde Steeg“ im Ferdinandeum © Tiroler Landesmuseen, Foto: Johannes Plattner
Blick in die Sammlungspräsentation „Elde Steeg“ im Ferdinandeum © Tiroler Landesmuseen, Foto: Johannes Plattner

Steeg, geboren 1908 in Berlin, stand in den 1930er-Jahren den Kölner Progressiven nahe (was man ihren frühen Arbeiten auch ansieht), leistete in der NS-Zeit antifaschistischen Widerstand und wäre deswegen beinahe im KZ gelandet. Später heiratete sie einen Professor aus Innsbruck; 1988 starb sie.

Haus-Frauen

Das Ferdinandeum besitzt rund 1500 Objekte von ihr (anstatt zu beklagen, dass es das Konvolut erst jetzt zeigt, freu ich mich lieber darüber). Die Werke in der Ausstellung, es sind nicht allzu viele, sind in kleinen Gruppen arrangiert: Es beginnt mit Zeichnungen und Aquarellen, in denen Frauen- und Männerkörper mit urbanen Strukturen verwachsen. Ein Zeichnung erinnerte mich stark an Louise Bourgeois’ „Femme Maison“ – und, was für ein Zufall, sie enstand sogar im selben Jahr, 1946! Wie bei Bourgeois ersetzen Häuser den Oberkörper von Frauen (wobei Elde Steeg den Frauen den Kopf lässt, Bourgeois ihnen stattdessen den Unterleib).

Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Ohne Titel (Frauenköpfe zwischen Häusern), um 1947 © Tiroler Landesmuseen
Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Ohne Titel, um 1947 © Tiroler Landesmuseen

In Tuschezeichnungen bedrängen männliche Figuren weibliche. Immer wieder taucht dabei der Anzugträger mit Koffer auf, der sich karrieretechnisch die Welt erobert, auch als pater familias, der seine Familie beherbergt, aber auch einengt.

Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Kleinstadtmenschen, um 1954 © Tiroler Landesmuseen
Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Kleinstadtmenschen, um 1954 © Tiroler Landesmuseen

Einige Male wird der Rock der Frau zu einer Straße – sie ist ein Objekt, über das man einfach hinweggeht, so die Deutung von Andreas Sladky. Anderswo schlingen sich Arme um einen erstarrten Frauenkörper, die braven Bürgerhäuser im Hintergrund schweigen: der ganz normale Spießrutenlauf eines Frauenalltags in der Nachkriegszeit, als Freiwild, das Männer sanktionsfrei betatschen und kommentieren konnten. MeToo war noch weit entfernt.

Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Ohne Titel (Frauenköpfe zwischen Häusern), um 1947 © Tiroler Landesmuseen
Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Ohne Titel , 1949 © Tiroler Landesmuseen

In einer anderen Arbeit schmiegen sich zwei Frauen lächelnd aneinander, eine trägt einen Kopf unter dem Arm – zu ihren Füßen schnurrt ein Hybrid aus Tier und Mann. Hat hier ein lesbisches Paar den Mann domestiziert? Oder ist das Wesen, das sich so an den Fuß der einen klammert, der Klotz am Bein? In Elde Steegs Gedankenkosmos ist die Katze, das Raubtier oft als Gefahr zu deuten, erzählte mir der Kurator.

Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, O. T., um 1949 © Tiroler Landesmuseen
Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, O. T., um 1949 © Tiroler Landesmuseen

Andreas Sladky, der mich freundlicherweise durch die Ausstellung führte, liest die Arbeiten Steegs vor den gesellschaftspolitischen Entwicklungen ihrer Zeit. Bei unserem Gespräch erzählte er kundig über die Familienpolitik unter Adenauer, die steuerrechtlichen Einstufungen von Frauen in Vollzeitbeschäftigung und Prostitution nach dem Krieg in Deutschland. Dieser Hintergrund ist gut und wichtig, doch die Themen Steegs beackern bis heute zahlreiche Künstlerinnen, auch in anderen Ländern.

Blume im Männerhaar

Wie sehr sich die Künstlerin der Geschlechternormen und -hierarchien bewusst war, zeigen auch einige Zitate von ihr. So konstatierte sie über ihre männlichen Zeitgenossen, „dass ihre frauen und freundinnen als gastgeber, köchinnen, betreuer fungierten – eine blume im männlichen haar und ein kotelett in ihrem magen. Dabei waren darunter: schriftstellerin, mathematikerin, theater-kostümbildnerin, schauspielerin, malerein, auch – sekretärin.“ In einem Text von 1976 zeigt sie sich kampfbereit: „zeit ist’s, dass wir künstlerinnen uns mehr engagieren, aus unserer – sicher sehr sympathischen – zurückhaltung heraustreten, um uns kühner der öffentlichkeit zu stellen.“ 

Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Ohne Titel (Frauenköpfe zwischen Häusern), um 1947 © Tiroler Landesmuseen
Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Ohne Titel, um 1946 © Tiroler Landesmuseen

In den 1960er- und 1970er-Jahren war Elde Steeg vor allem mit Geldverdienen beschäftigt, gestaltete Trickfilme für TV-Sender – in der Ausstellung klafft in diesen beiden Jahrzehnten eine Lücke. Die Collagen aus den 1980er-Jahren sind dann wieder bemerkenswert. Besonders jene, wo sie Zeitungsausschnitte doppelseitig präsentiert: Hinter dem Geniekünstler Joseph Beuys wartet seine Frau mit dem Sohn am Küchentisch. Eine Sektwerbung zeigt auf der anderen Seite einen Esel. Einfache Eingriffe, die so wirkungsvoll sind, und zum Beispiel die Zeitungsarbeiten von Hans Peter Feldmann vorwegnehmen, wie etwa das für mich mittlerweile legendäre „Profil ohne Worte“.

Schlummerndes Potenzial

Das Ferdinandeum möchte die Auseinandersetzung mit Elde Steeg weiterführen. Ich glaube, da schlummert noch einiges an Potenzial, auch in der kunsthistorischen Aufarbeitung. Eine große Ausstellung, die ihr Leben und ihre Kunst ausführlich beleuchtet, auch Fotografien und vielleicht sogar ihre Auftragsarbeiten einbezieht, wäre angesagt. Der erste Schritt ist getan. 

Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Promenade, 1948 © Tiroler Landesmuseen
Elde Steeg / Elfriede Stegemeyer, Promenade, 1948 © Tiroler Landesmuseen

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