Feministische Kunst? Ist viel zu persönlich!

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Ihr wisst es wahrscheinlich eh: Erst seit 1920 dürfen Frauen an der Wiener Akademie der bildenden Künste Wien studieren. Im Vorjahr, also 100 Jahre später, startete die Künstlerin Stefanie Seibold dort dort einen Studiengang mit dem Titel „Gender and Space“. Es geht darin, so schreibt Stefanie in der Ankündigung zur Abschlussausstellung ihrer Studierenden, um die „vielfältigen Effekten von Gender als gesellschaftlicher Strukturkategorie sowie unbewusster, genderspezifischer Voreingenommenheit beim Machen, Diskutieren, Wahrnehmen, Verstehen und Bewerten von Kunstwerken innerhalb und außerhalb institutioneller Räume.“

Ausstellungsansicht (Arbeiten im Bild, v. li: Neonarbeit „Nation is…“ von Huda Takriti, Detail aus „Anne, Hannah & Emily“ von Josephine Baltzersen & Em Schwarzwald, „My head is a hornets‘ nest“ und „Daddy’s shirt“ von Em Schwarzwald. Foto: Stefanie Seibold)

Gender und Space: Querschnittsmaterie

Damit hat sie sich ein ganz neues Format ausgedacht, quasi als Querschnittsmaterie. „Es ist eine Kursprofessur und greift in das bestehende System ein“, erzählt sie in der Ausstellung „Gender und Space 1“ im Exhibit Studio am glücklicherweise endlich wieder eröffneten Schillerplatz. Noch immer sind Künstlerinnen damit konfrontiert, dass ihre Kunst durch eine genderbasierte Vorurteilsbrille angeschaut wird. „Wenn Frauen Textilkunst machen, ist es Frauenkunst. Wenn Männer Textilkunst machen, ist es Konzeptkunst“, bringt Stefanie es auf den Punkt. Zudem würden Künstlerinnen – noch immer! – davor gewarnt, feministisch zu arbeiten: Das sei „zu persönlich“.

Ausstellungsansicht (unten rechts: Huda Takriti, „Paradox Paradise“, am Sockel: Josephine Baltzersen, „The first woman to land in Louisiana’s garden“. Foto: Stefanie Seibold)

Angstbesetzte Räume

Dieses Mindset einmal zu beleuchten und dagegen anzugehen, das hat sich der Studiengang vorgenommen. Er dauert zwei Semester, die erste Einheit leitete Stefanie Seibold selbst, nun hat Doireann O’Malley übernommen. Mit etwas Verspätung zeigt der Studiengang nun einige Arbeiten, die in dieser Zeit, vor diesem Hintergrund entstanden sind. Klarerweise sind sie etwas disparat, denn schließlich ging es hier nicht um eine schlüssige inhaltliches Narration, sondern um einen Einblick in das Schaffen der Studierenden – und auch der Professorin. Nicht bei allen Arbeiten liegt auf der Hand, dass sie einen genderspezifischen Hintergrund haben: Die Animationsfilme von Yeongeun Jeun etwa, in denen nackte Figuren durch angstbesetzte, düstere Räume wandeln, kommen stark aus dem eigenen Erleben der Künstlerin, wie es im Begleittext heißt. Auch die „Anklageschrift“ von Kajetan Uranitsch, eine Sammlung von Zeichnungen kleptokratischer Politiker (ich glaube, nur Männer), vermischt mit Bekannten des Künstlers, lässt den Hintergrund dieses Lehrgangs nicht unbedingt vermuten.

Josephine Baltzersen, Em Schwarzwald: Anne, Hannah & Emily (Foto: Em Schwarzwald), 2021

Schreibende Frauen

Anders bei der eindrücklichen Arbeit von Josephine Baltzersen und Em Schwarzwald: Auf der obersten Stufe einer Treppe platzierten sie drei kleine Skulpturen in der Größe von Playmobilfiguren, die schreibende Frauen des 19. Jahrhunderts darstellen – die Landbesitzerin Anne Lister, die Dienerin Hannah Cullwick und die Schrifstellerin Emily Brontë. Allen gemeinsam war, dass sie sich als Männer ausgaben. Ein kleines Handout erzählt von ihrem Leben und Schreiben. Auch andere Arbeiten bringen Genderthemen aufs Tapet – Huda Takritis Video „Paradox Paradise“, das eine Tapisserie der Großmutter in ihre Arbeit einwebt und damit die Sichtbarkeit weiblicher Kunstproduktion thematisiert, Anahita Asadifars Video „…a response“, das Zitate und Kunstwerke von Audre Lorde, Susan Sontag, Claude Cahun und der kürzlich leider verstorbenen bell hooks arrangiert und natürlich die Arbeiten von Stefanie selbst: In einer Publikation versammelt sie Inserate aus Modezeitschriften, die mit lesbischem Begehren spielen, die Hetero-Konsumentin und ihre Beschenker stets fest im Blick.

Stefanie Seibold, „O. T (Elysium), „O. T. (The birth of Venus)“, „O. T. (Looking Back)“ aus der Serie: „Gallery of Ancestors/Family of Choice“, 2016

Feministische Fundgrube

So heterogen die einzelnen Positionen sind, so vermittelt sich doch ein Eindruck davon, wie hier gearbeitet ist. An einer Wand kann man sich auch über einen QR-Code diesen Link hier holen..Das pdf ist eine wahre Fundgrube an feministischen Videos und Texten, ebenso mit Informationen zu den Denkansätzen und Arbeiten der jungen Künstlerinnen. Für alle, die sich die Ausstellung nicht anschauen können. Wobei: Einen Besuch ist sie jedenfalls wert. Wenn nicht mehr dieses, dann im nächsten Jahr – für das ich euch alles Gute wünsche: Bleibt feministisch, bleibt wach! Und lasst euch auch von der Pandemie nicht zurückdrängen.

William Metin Martin, „Tic, Tac, Toe oder Drei gewinnt (Johann Conrad Reuttimann Laubwerk-Scheißer 17th Century), 2021

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