„Eine junge Frau mit schwarzen kurzen Haaren, schwarzen großen Augen, dunkelgelbem Gesicht und starkem Schnurrbartflaum über roten Lippen“: So beschreibt Joseph Roth in seiner „Kapuzinergruft“ Jolanth Szatmary, von Beruf „Kunstgewerblerin“. Eine Frau mit starkem Schnurrbartflaum – huch! Besonders gut kommt Szatmary nicht weg, entführt sie doch dem Protagonisten die Gattin und benimmt sich auch sonst schauderhaft.
Weibliches Kunstschaffen im frühen 20. Jahrhundert: Das musste ja auf Widerstand stoßen. Adolf Loos beklagte sich über „dilettantische Hofratstöchter“, sein Kollege Oswald Haerdtl über eine „unerhörte Pupperlwirtschaft“, die in der Wiener Werkstätte zugange sei.
Glücklicherweise zeigt das MAK jetzt die „Pupperlwirtschaft“ in einer Ausstellung, hinter der eine großartige Forschungsleistung steckt. Die meisten Exponate kommen aus dem Haus selbst. „Die Frauen der Wiener Werkstätte“ kuratierten Anne-Katrin Rossberg, Kustodin der MAK-Sammlung Metall und des Wiener-Werkstätte-Archivs, sowie ihre Vorgängerin Elisabeth Schmuttermeier – also zwei, die mit den Beständen des Hauses exzellent vertraut sind. Zusätzlich zur Recherche im Museum selbst starteten sie einen Aufruf, Daten, Dokumente, Geschichten und Bildmaterial beizusteuern. Die Aktion war erfolgreich, wie mir Rossberg für einen Beitrag in der Weltkunst über „Die Frauen der Wiener Werkstätte“ erzählte: „Auf unseren Aufruf bekamen wir von einigen Familien Porträtfotos, Zeugnisse und Dokumente. Das war ein reicher Fundus, der uns half, manche Daten zu klären und Biografien neu zu erstellen.“

Die Mühe hat sich gelohnt: Es kam eine großartige Zusammenschau zustande, die wissenschaftliche Leistung wird eine gute Basis für weitere Projekte sein, und die Rezensionen waren teils euphorisch. Es ist erstaunlich, was Rossberg und Schmuttermeiers zutage förderten – und was uns bisher verborgen blieb.
Hier meine persönlichen fünf Highlights:
Camilla Birke, Entwurf für den WW-Stoff Monolog, 1924

Als Camilla Birke dieses Muster entwarf, war sie 19 Jahre alt. Es sticht in seiner Turbulenz und seiner doch etwas düsteren Farbgebung ziemlich heraus, finde ich. Die Komposition setzt der heiteren Verspieltheit und der coolen Geometrie, die in den meisten anderen Mustern der Wiener Werkstätte vorherrschen, einen Wirbelsturm entgegen. Da lehnt sich jemand auf. Recht so.
Felice Rix, Boudoirtabatiere (Zigarettenschuber), 1929

Diese Boudoirtabatiere – allein der Name dieses Gegenstands göttlich! – hätte ich selbst gern. Während wir heute auf den Tschickpackeln abgestorbene Beine und trauernde Familien präsentiert bekommen, pflegte das Großbürgertum der 1920-Jahre einen eleganteren Zugang zur Rauchware. Vielleicht würde sich eine Neuauflage ja gar nicht schlecht verkaufen….? Und ja, ich weiß schon: Rauchen ist ungesund, grauslich, ignorant, egoistisch, verursacht hohe Krankenkassenkosten usw. Trotzdem schön, diese Boudoirtabatiere.
Gudrun Baudisch, Kniendes Mädchen, 1927

Ehrlich, ich hab mir früher echt schwer getan mit den Keramiken von Vally Wieselthier und Gudrun Baudisch (die übrigens die Vorbilder für die Protagonistinnen in Roths Kapuzinergruft sein sollen). Ist das nicht ziemlicher Kitsch? Und recht oberflächlich? Da bin ich offenbar selbst in eine Falle getappt, die einiges mit Misogynie zu tun hat. Erst bei näherer Beschäftigung, dank dieser Ausstellung, erschließt sich mir dieses keramische Schaffen besser. Der fantastische Aufsatz der Historikerin Megan Brandow-Faller im Ausstellungskatalog trug dazu wesentlich bei.
Was sie über die Köpfe von Baudisch schreibt, trifft auch auf diese Kniende zu, nämlich dass sie „Vorstellung von ‚‘natürlicher‘ weiblicher Schönheit ins Wanken“ brächten. Zudem „entlarvte Baudisch die sexualisierende Maske der Gesichtsbemalung in ihrer Palette aus grellen Orange- und Blautönen und tattoo-artigen geometrischen Verzierungen. Die auffallend ‚geschminkte‘ Darstellung des Frauenkopfs der WW war eine wohldurchdachte Entgegnugn an frauenfeindliche Kritiker“, so Brandow-Faller. Bei der „Knienden“ bekleckerte Baudisch gleich den ganzen Körper mit Farbe. Alles andere als apart! Und auch ein bisschen camp.
Aus der Zeitschrift „Wiener Bilder“: Hilda Polsterer, Christa Ehrlich, Camilla Birke bemalen die Vitrinen im Österreichischen Pavillon auf der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes, Paris 1935

Es gibt mehrere Gruppenfotos in dieser Ausstellung: Künstlerinnen in der Kunstgewerbeschule, vor Verkaufsräumen, im Stiegenhaus der Textilabteilung. Dieses hier sprang mir ins Auge: Drei WW-lerinnen, die gemeinsam etwas schaffen. Jede für sich, und doch sind sie ein Team. Einerseits versunken in die Arbeit, andererseits dadurch miteinander verbunden. Sie tragen grobes Arbeitsgewand (das erinnert ein wenig an Bilder aus dem Bauhaus), dazu Schnallenschuhe. Für das Patriarchat hat es sich ja stets super bewährt, Frauen gegeneinander in Stellung zu bringen, Frauen sollten einander konkurrieren beim Schönsein und überhaupt, dafür erfand man dann Begriffe wie „Stutenbissigkeit“ und „Zickenkrieg“. Dieses Bild dagegen demonstriert eine Art von Zusammenhalt, die nichts von der aufgesetzten Fröhlichkeit eines kalkulierten Gruppenfotos hat, wo es um eine gemeinsame Sache geht. Diese Frauen arbeiten hart – gemeinsam und individuell. Solidarität kann sich auch so ausdrücken.
Kimono aus dem WW-Stoff „Assunta“ von Maria Likarz, angefertigt für Marlene Dietrich als Lola Lola in „Der blaue Engel“, 1929

Aus feministischer Perspektive ist „Der blaue Engel“ hinterfragenswert. Aber: dieser Kimono! Und: aus Seide! Einfach ein Traum! Den Stoff für das Outfit, in dem Marlene Dietrich auftrat, entwarf Maria Likarz, auch eine der ganz Großen in dieser Ausstellung.
Bis 5. Oktober läuft „Die Frauen der Wiener Werkstätte“ noch. Das einzige, was ich nicht so ganz kapiere, ist die leicht trashige Ausstellungsarchitektur – mit nackten Sperrholzwänden und Wellblech-Verkleidungen. Aber sei’s drum. Die Schau gehört schon jetzt zu meinen Favorites dieses Jahres. Und zeigt, was ein Museum mit kompetenten, engagierten und kreativen Kuratorinnen leisten kann. Dringlichste Empfehlung!
Hallo,
danke für Ihren Beitrag. Es wäre interessant zu wissen, ob eine Versteigerung dieser Kunstwerke auf Auktionen auch in Frage käme.
Soweit ich weiß, sind die meisten Werke aus dem Besitz des MAK, das als Bundesmuseum grundsätzlich keine Objekte veräußert. Aber es gibt bestimmt andere Werke der Künstlerinnen, die in Auktionen kommen. Dazu gibt es einschlägige Datenbanken, zB artprice.com.
Fantastisch!!! Danke für diesen wunderbaren Text – ich bin begeistert!!!
Danke! Die Ausstellung ist natürlich noch besser!