Pritzker-Preis, ein Skandal

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Nicht nur Denise Scott Brown, auch Lu Wenyu wurde der Pritzker-Preis versagt. Was ist da los?

Heute geht es hier ausnahmsweise nicht um bildende Kunst, sondern um Architektur. Gestern war ich nämlich in der Ausstellung von Denise Scott Brown im azw, Empfehlung! Sie ist so gemacht, als würde einen die Architektin begleiten. Man geht an einer Art Ladenzeile entlang, der Text besteht fast ausschließlich aus ihren eigenen Zitaten. Am bekanntesten ist das Buch, das sie gemeinsam mit ihrem Mann Robert Venturi und dem damaligen Mitarbeiter Steven Izenour verfasste, „Learning from Las Vegas“ und in dem sie die Glücksspielmetropole genau unter die Lupe nahmen, anstatt sich bloß darüber zu mokieren. Eine äußerst sympathische Haltung spricht aus ihren Arbeiten. Oft kollaborierten sie mit Soziologen und Soziologinnen. „Die Architekten in den USA hatten kein soziales Bewusstsein. Sie orientierten sich an der Oberschicht, waren Snobs und kümmerten sich nicht um soziale Proteste“, erzählte Denise Scott Brown mir über ihre frühen Jahre.

Denise Scott Brown
Ausstellungsansicht „Downtown Denise Scott Brown“. Bild: Architekturzentrum Wien. Foto: Lisa Rastl

Vor wenigen Wochen konnte ich die Architektin, heute 87 Jahre alt, via Skype interviewen, ich habe über sie für profil geschrieben. Grandioser Witz, grandiose Lebensfreude, die Frau. Dabei hätte sie echt Grund, grantig zu sein. Den Großteil ihres Werks schuf sie gemeinsam mit ihrem Venturi. Der erhielt 1991 den Pritzker Preis. Allein. Solo. Sie ist kaum zu fassen, diese Ungerechtigkeit. „Wir selbst können unsere Beiträge nicht auseinanderdividieren“, so ein Zitat von Scott Brown in der Ausstellung. Die Pritzker-Prize-Jury konnte.

Denise Scott Brown
Denise Scott Brown vor der Skyline von Las Vegas, 1972. Foto: Robert Venturi

Damals beriefen sich die Verantwortlichen darauf, dass die Auszeichnung nur einer einzigen Person verliehen werden könne. Bescheuerte Ausrede: 1988 hatten sie nämlich zwei Architekten, Gordon Bunshaft und Oscar Niemeyer, bekommen. 2013 initiierten zwei Studentinnen eine Petition: Man solle Scott Brown doch endlich in die Liste der Ausgezeichneten aufnehmen. Doch obwohl mehr als 20.000 Menschen unterschrieben, darunter auch einige, die den Preis selbst erhalten hatten: kein Einlenken. Nachträgliche Änderungen wären nicht möglich, da Jurymitglieder bereits verstorben seien, hieß es. Wieder so eine bescheuerte Ausrede. Man hätte das ausgezeichnete Werk ja nur mit dem korrekten Copyright versehen. Bis heute scheinen auf der Website des Pritzker-Preises zahlreiche gemeinsame Werke wie etwa der Sainsbury Wing der National Gallery in London unter dem Namen von Robert Venturi auf. So, als wäre seine Frau gar nicht daran beteiligt gewesen.

Denise Scott Brown, Robert Venturi: Sainsbury Wing, National Gallery, London, UK, 1991. Foto: Timothy Soar

An der Ignoranz hat sich also leider wenig geändert. Wie ich erst jetzt zu meinem Entsetzen feststellte, wiederholte sich der Skandal sogar 2012. Nicht in den 1990er-Jahren, nein, erst vor sechs Jahren! Damals erhielt der chinesische Architekt Wang Shu den Preis, obwohl er seit 1997 mit seiner Frau Lu Wenyu arbeitete. Wie kann es sein, dass eine Jury des 21. Jahrhunderts so eine Entscheidung trifft? Noch dazu eine, in der auch Frauen sitzen? Der Jurytext preist besonders das Ningbo History Museum. Es wurde von beiden gemeinsam geplant. Auf der Website erscheint das Gebäude aber plötzlich als der Entwurf einer einzigen Person, nämlich der männlichen. Es ist einfach skandalös, dass eine derart renommierte Institution eine gleichwertige Partnerin nicht nur ignoriert, sondern auch  deren Namen auslöscht! Das geschah nicht nur im vorigen Jahrhundert. Das passiert heute. Architektinnen und Architekten, was ist los in eurer Branche?

Lu Wenyu
Wang Shu, Lu Wenyu: Ningbo Museum. Foto: Siyuwj, wikipedia commons

 

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