Unlängst sendete der ORF zu später Stunde – ja, für berufstätige Eltern ist 23 Uhr „zu später Stunde“ – eine Doku mit dem schönen Titel „Embrace – Du bist schön“ (in der TV-thek hier noch bis 23.3. abrufbar). Fat Shaming und Body Positivity: Ich gestehe das hat mich bisher nicht so sonderlich interessiert. Ist doch eh klar, dass diese blöden 90-60-90-Vorstellungen zum Vergessen sind, also hörts halt auf mit diesen Diäten und gebts nicht so viel auf die Meinung irgendwelcher Typen, die euch eh nicht verdient haben. Und: nächster Punkt, bitte. So meine Einstellung, lange Zeit.
Und die war abgrundtief falsch. Das zeigte mir diese Doku. Es ging zunächst um Fitness und darum, dass dürre Körperideale schädlich sind. Nichts rasend Neues. Doch dann: bamm! Da erzählte die Filmemacherin, Taryn Brumfitt, davon, wie sie auf Social Media Vorher-Nachher-Fotos gepostet hat. Nicht die üblichen, wo man später abgenommen hat und in der neuerworbenen Schlankheit grinst wie ein frischlackiertes Hutschpferd, sondern umgekehrt: Vorher, erzählte sie, hatte sie sich in ihrem dünnen Körper unwohl gefühlt. Mit ein paar Kilo mehr ging es ihr viel besser.
Jeder Mensch mit einem nur winzigen Hauch von Empathie würde ihr zu ihrem neuen Wohlbefinden gratulieren. Doch was geschah? Ein wahrer Shitstorm brach los! „Go fucking workout you fat bitch“, schrieb jemand, wer anderer: „Big is ugly. You are big now, therefore you are ugly now!“ Oder: „Get your ass in shape.“ Wie bösartig, misogyn und körperfeindlich kann man bloß eingestellt sein?
„Harmlos wie ein Yogakurs“?
Als 2017 Margarete Stokowski in ihrer Spiegel-Kolumne junge Mädchen dazu aufrief, ihre Beine stolz in Leggings zu zeigen, egal, welche Größe diese hätten, erklärte der konservative Kolumnist Jan Fleischhauer, dass die moderne Feministin „nur noch das Wohlbefinden heben“ wolle und „harmlos wie ein Yogakurs“ sei, völlig unpolitisch. Einen Tag lang im Körper einer Frau mit einem Gewicht, das einer wie er als zu hoch befindet: Das wünsche ich dem Herrn Fleischhauer!
Bis dieser fromme Wunsch in Erfüllung geht, soll an dieser Stelle das Voluminöse und Lebensfrohe abgefeiert werden. Denn in der Kunst hat es Tradition. Ich fange aber nicht bei der Venus von Willendorf an. Und auch die Rubensfiguren erspare ich uns, die kennen wir eh alle.
Tizian: Nymphe und Schäfer
Das Bild ist wie ein Wunder. Unglaublich raffiniert, wie Tizian mit Licht und Dramaturgie spielt! Im Zentrum des Geschehens natürlich, eh klar, ein weiblicher Akt (über diese ganze Voyeurismus-männlicher-Blick-Kiste sprechen wir an dieser Stelle mal ausnahmsweise nicht) – ein Akt, der heute auf den Covers dieser Ekelblätter als „zu fett“ verspottet würde, dem man zu Rohkost, Workouts und Intervallfasten raten würde. Was diese Ekelpakete, die Brumfitt so verspottet haben, wohl zu Tizians Meisterwerk sagen würden? „Go fucking workout“?

Martin van Meytens: Bildnis Kaiserin Maria Theresia
War nie so mein Lieblingsmaler, Martin van Meytens, mir persönlich alles etwas zu steif. Doch dieses Bildnis der Maria Theresia imponierte mir ziemlich, als ich es zuletzt in der Gemäldegalerie der Akademie sah. Eine gestandene, mächtige, resolute Frau im besten Alter, tatkräftig und lebensfroh. Kümmert sich keinen Deut um irgendwelche Schlankheitsvorschriften. Angeblich riet ihr ja sogar ihr Leibarzt, weniger zu essen. Woran sie gar nicht dachte! Was hätte sie jenen Facebook-Hatern wohl gesagt? Wahrscheinlich nicht viel. Die hätte einfach kurzen Prozess gemacht.

Lisette Modell: Coney Island Bather
Gut, das ist jetzt ein ziemlicher zeitlicher Sprung, von Maria Theresia zu „Coney Island Bather“ von Lisette Model. Ist gerade im Westlicht zu sehen, in der sehr empfehlenswerten Ausstellung MODEL ARBUS GOLDIN. Es war irgendwann in den 1990er-Jahren, als die Foto-Koryphäe Monika Faber Lisette Model in einer Kunstgeschichte-Vorlesung vorstellte. Ich war sofort begeistert von diesen kraftvollen Frauen, die so eine starke Ausstrahlung haben. Diese Frau hätte denen, die Brumfitt so übel beschimpften, wahrscheinlich einfach eine gescheuert. Sodass sie in ihren untergewichtigen und ausgezehrten Körpern wie Federn ins Meer geflogen wären.

Niki de Saint Phalle: Nana
Egal, um welche es sich handelt, die Nanas tanzen, immer fröhlich, immer heiter, ausgelassen. Sie sind längst zu miniaturisierten Kitschfiguren verkommen, zu erwerben in Museumsshops. Doch das ist ihnen wurscht. Sie drehen sich noch immer. Und allen, die Übergewichtige für hässlich halten, kleben sie ein buntes Herzerl aufs Hirn. Vielleicht hilft es ja.

Jakob Lena Knebl: Fettecke
Jakob Lena Knebl hat einfach einen grandiosen Zugang zu allem. Zu den Museen, zur Politik, zur Kunstgeschichte, zum Design, zum Körper. OK, es ist kaum zu verheimlichen: Ich bin ein schwerer Fan. Ihre „Fettecke“ (kommt übrigens auch in einer Arbeit von Anna Meyer zum Thema vor) ist ironisch, selbstbewusst, stark. Der Seitenhieb auf diese Beuys-Verehrung: super-bissig. Der leicht herablassende Blick: top. Die Selbstentblößung: großartig. Jakob Lena würde den Feinden und Feindinnen von Fett und Fleisch vielleicht einfach entgegenschleudern: Go fuck yourselves, assholes. Und sich lässig eine Strähne aus dem Gesicht streichen.
