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Unlängst habe ich den Namen von Luchita Hurtado gegoogelt. Ich stieß zufällig bei einer Recherche auf sie. Und siehe da: Die Künstlerin ist 98 Jahre alt, ihre Arbeiten touren gerade in Soloshows rund um die Welt, die NYT bringt ein riesiges Feature über sie, die Serpentine Gallery stellt sie aus, Hauser und Wirth verkaufen ihre Arbeiten. Und was schreibt Wikipedia?

Heiraten und Kinder kriegen

Folgenden Eintrag fand ich: „Hurtado zog 1928 nach New York City und besuchte eine Kunsthochschule für Mädchen. 1938 heiratete sie den chilenisch-amerikanischen Journalisten Daniel del Solar. Nachdem del Solar sie mit zwei kleinen Kindern verlassen hatte, arbeitete sie für die Vogue als Illustratorin. Isamo Noguchi brachte sie in Galerien und stellte sie dem Maler und Kunsttheoretiker Wolfgang Paalen vor. 1947 heiratete sie den Wiener Paalen und zog mit ihren Söhnen und ihm nach Mexiko-Stadt […]. Nach dem plötzlichen Tod ihres Sohnes Pablo zog die Familie nach […] Hurtado heiratete 1956 Lee Mullican nach einer einvernehmlichen Scheidung und vier Jahre nach der Geburt des Sohnes Matt Mullican.“

Fällt euch was auf? Genau: Es geht überhaupt nicht um die Kunst der Künstlerin, sondern nur um ihre Ehemänner und Kinder. 

Fritz, Michael und Werner

Andere Künstlerin: Auguste Kronheim, deren feministische Folklorekunst ganz große Klasse ist. Was weiß Wikipedia über sie? Der erste Absatz dreht sich fast ausschließlich um das Leben ihres Vaters, dann ein bisschen um ihrer Ausbildung in Linz. „Während dieser Zeit lernte sie den Linzer Künstler Fritz Aigner kennen, mit dem sie von 1956 bis 1962 verheiratet war. Sie hatte bereits 1959 gemeinsam mit Fritz Aigner und anderen eine Ausstellung in der Galerie Kliemstein und bekam künstlerische Aufträge. Nach einer kurzzeitigen Anstellung als Chef–Grafikerin beim Linzer Kaufhaus Kraus & Schober musste Kronheim mit ihren mittlerweile drei Kindern unter prekären Verhältnissen leben. […] Kronheim übersiedelte 1964 mit ihren Kindern und den Druckgeräten nach Dugort auf Achill Island und später mit ihrem Partner Michael White, den sie auf der Insel kennen gelernt hatte, in das am anderen Ende der Insel gelegene Dooega. Heinrich Böll übernahm die Patenschaft für ihr 1965 dort geborenes viertes Kind. Da ihre Aufenthaltsbewilligung in Irland nicht verlängert wurde, musste Kronheim mit ihren Kindern 1966 nach Österreich zurückkehren. 1965 zog Auguste Kronheim mit Fritz Aigner in das […] Engelbert-Kliemstein-Kunsthaus. Bis zum Scheitern dieses Projektes lebten und arbeiteten die beiden dort. In weiterer Folge […] lernte [Kronheim] in Linz den jungen Schriftsteller Werner Kofler kennen und übersiedelte 1970 mit diesem und ihren Kindern nach Wien, wo sie alsbald Zwillinge gebar. Die damalige Lebenssituation der Familie ist in Koflers Buch Örtliche Verhältnisse beschrieben. Kronheim wurde Mitglied der Grazer Autorinnen Autorenversammlung und der Künstlerkooperative Kunstwerk. 1990 erfolgte die Trennung von Werner Kofler.“ 

Wir erfahren so gut wie nichts über Kronheims Kunst, und so gut wie alles über ihre Männer und Kinder. 

Wie der Vater

Wie steht es bei den Stars der Kunstgeschichte? Beim Eintrag über Artemisia Gentileschi weiß man manchmal nicht ganz, ob dieser ihr oder ihrem Vater gewidmet ist: „So können Orazio und Artemisia Gentileschi als wichtige Vertreter des […] Caravaggismus gelten, der durch seine lebensnahe Darstellungsweise und dramatischen Lichteffekte beeindruckte“, heißt es da. Oder: „So wie sich Orazio in seinem in England entstandenen Spätwerk an den Geschmack des englischen Hofes anpasste, übernahm Artemisia beispielsweise in Florenz einen florentinisch, in Neapel einen neapolitanisch geprägten Malstil.“

Wikipedia, das vorwiegend von Männern geschrieben wird, dreht sich auch vorwiegend um Männer: Artikel über Frauen würden schneller gelöscht, erzählt eine Wikipedia-Autorin auf vice.com. Andere werden sexistisch beschimpft, wie die TAZ-Autorin Carolina Schwarz hier berichtet. Kein Wunder, dass die Online-Enzyklopädie bedeutende Frauen gleich ganz ignoriert.

Wen interessiert die Kunst?

Doch ebenso übel ist es, wenn Frauen als Anhängsel ihrer Männer dastehen. Das Grundproblem, an dem die Rezeption von Künstlerinnen schon früher so litt, setzt sich hier fort. Da ist es nicht weit her mit der Schwarmintelligenz. Ich hätte gern ein paar Stunden pro Woche zusätzlich. Dann könnte ich eingreifen. Aber ich muss ja meine karge Freizeit mit einem Feminismusblog verplempern. 

Am Ende des Beitrags über Auguste Kronheim heißt es übrigens: „Einer ihrer Söhne ist der Maler Brendan Kronheim.“ Wen interessiert schon ihre Kunst, wenn sie auf derart illustre Ehegatten, Liebhaber und Söhne verweisen kann?

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