Das Plakat ist längst eine Ikone der feministischen Kunst: „Do women have to be naked to get into the Met. Museum?“ Das fragten die Guerilla Girls 1989. Das war im Jahr des Mauerfalls. Mittlerweile hat sich einiges getan, zumindest in der Kunst. Heute müssen Frauen nicht mehr nackt sein, um ins Metropolitan Museum zu gelangen. Nein, dort gibt es auch Ausstellungen von ihnen. Im Gegensatz zum Wiener Kunsthistorischen Museum (KHM).
Keine im Sinn von: null
Ich hoffe, dass ich euch nicht langweile damit, denn bereits vor zwei Jahren schrieb ich auf diesem Blog, dass das Haus feministische Nachhilfe benötigt. Dringend! Daran hat sich nichts geändert. Es werden in der Gemäldegalerie ganz einfach keine Künstlerinnen in Soloshows ausgestellt. Nämlich nicht „keine“ im Sinn von „ganz wenige“ oder „kaum“, sondern keine im Sinn von: null. Frauen sind nicht nur (historisch bedingt) in der Kernkompetenz des Hauses, also altmeisterlicher Malerei, sondern auch in der Contemporary-Schiene so gut wie ausschließlich Objekte männlichen Schöpfertums. „Tizians Frauenbild. Schönheit – Liebe – Poesie“ hieß eine Schau, angesichts der man sich in Zeiten zurückgebeamt fühlte, da männliche Kunsthistoriker von delikaten Inkarnaten schwärmten. Nicht einmal im Katalog wurde Tizians Blick auf Frauen etwas kritischer – vielleicht sogar feministisch – reflektiert.
Und jetzt, als erstes Highlight des Jahres, breitet sich hier wieder einen Malerstar aus: Georg Baselitz, jener Künstler, der gern behauptet, Frauen könnten nicht malen – die Sache ist ja bekannt und häufig zitiert. Die Schau „Baselitz. Nackte Meister“, die meine geniale Kollegin und Freundin Nicole Scheyerer im „Falter“ unter dem Titel „Der mit dem Phallus malt“ besprach, nimmt unpackbar viel Platz in Anspruch. Zwischen seine großformatigen Gemälde, auf denen vor allem am Kopf stehende Aktfiguren zu sehen sind, ließ Baselitz Werke Alter Meister hängen, je nach Schwerpunkt: bisschen Paare (der Künstler und seine Frau Elke plus altmeisterliche Vertreibung aus dem Paradis), bisschen Geilheit (Duchamp und seine Liebhaberinnen neben zwei Versionen der „Ruhenden Venus“ von Dirk de Quade van Ravesteyn), bisschen Existenzjammer (abstrahierte entschwindende Aktfiguren neben dem bekannten „Jüngsten Gericht“ von Frans Floris).

„Er kollagiert jetzt Nylonstrümpfe“
Ja, diese ganze Baselitz-Malerei hat eh ihre Berechtigung. Das weiß auch Larry Gagosian. Reiche Sammler*innen geben ihm recht. Trotzdem: Wieder haben wir hier einen männlichen Maler, der weibliche Akte malt, wenn auch nicht nur. Wieder ein männliches Subjekt, das die Frauen zum Objekt macht. Wieder ein Plakat mit einer weiblichen Aktfigur drauf.
Dazu Saaltexte von erstaunlicher Schlichtheit, ja Naivität. Einmal geht es um Frida Kahlo. In dem kurzen Text, der zur Verfügung steht, wird sinn- und kontextlos ihr Ehegatte erwähnt. Ich dachte, wir wären über diese ewige Erwähnung von Vätern, Ehemännern und Brüdern hinweg, aber da war ich wohl zu optimistisch. An einer Stelle heißt es, dass ein „überraschendes Element“ Einzug in Baselitz‘ Bilderwelt gehalten habe: „Er kollagiert jetzt Nylonstrümpfe in seine Gemälde.“ Was für eine Sensation, jemand verwendet Damentextil. Einmal malt er sich selbst und seine Frau Elke als Schwarze. Warum denn das? Weil er sich als Kind selbst schwarze Haut wünschte. Wie süß, der kleine Georg! Den strukturellen Rassismus, den Schwarze in Deutschland und Österreich zweifelsohne erleben, hat er sich wohl nicht gewünscht. Derlei kann aber nur eine miesepetrige Spielverderberin wie ich thematisieren.

Ellbogenkunst
Was mich außerdem stört, ist die Geste des Verdrängens. Teilweise kommt es mir ja schon fast wie eine Selbstparodie vor, wie diese Malerei ihre Ellbögen ausfährt. Vermeer, schleich dich rüber mit deiner Malkunst, jetzt komm ich! Tizian, ab mit dir in den übernächsten Saal, hier muss jetzt Platz für meine Nackerten sein! Und Lorenzo Lotto, ist eh wurscht, wo du jetzt hängst, oder? Es ist genau das, womit Männer Frauen – und andere Männer – immer wieder klein gemacht haben: einfach, indem sie sich neben ihnen möglichst groß aufblasen. Sie übertönen. Genau das macht Baselitz.
Seine 75 Werke schlagen die 40 aus dem KHM nicht nur in der Anzahl, sondern auch in der Dimension. Ein bisschen nach dem Motto: Ich hab den Größeren! Der Künstler Tomas Hoke schrieb auf Facebook treffend, dass der Dialog schon aufgrund von Baselitz‘ Formaten gar nicht klappe.

Guerrilla Girls, bitte kommen
Was erwartet man von so einer Ausstellung? Auf welchem Stand des Diskurses ist ein Museum, das ausschließlich weiße Männer in ein Haus einlädt, dessen Sammlung historisch bedingt ohnehin schon kaum Kunst von Frauen besitzt? In welchem Jahrhundert leben wir? Wo bleiben die Guerrilla Girls?Wieso nutzt es da überhaupt nichts, dass das Haus eine Generaldirektorin hat? Und: Wird bei ihrer Nachbesetzung auch eine Rolle spielen, wie gegenwärtig jemand Neues ein Programm aufstellt? Oder soll das KHM weiterhin ein Haus fast exklusiv für Männerkunst bleiben?
Liebes KHM, du großer und großartiger Tanker, den ich seit Jahrzehnten immer wieder besuche, in dem ich schon so viele tolle Nachmittage verbracht habe, mit dem mich eine innige Langzeitbeziehung verbindet: Wie wäre es, wenn du die fast vollständige Abwesenheit von Künstlerinnen in der Kollektion konterkarieren und einfach mal, sagen wir die nächsten zehn Jahre, in der Contemporary-Schiene ausschließlich Frauen zeigen würdest? Wenn du, mehr noch, nicht das Porträt der Ehefrau eines weißen, millionenschweren Künstlers als Schwarze präsentieren würdest, sondern eine Schwarze Künstlerin in einer Soloshow? Oder mehrere? Otobong Nkanga, Faith Ringgold, Belinda Kazeem-Kamiński, Elisabeth Bakambamba Tambwe, Sonya Boyce, Amy Sherald, Kara Walker?
Ich weiß. Dieser Gedanke ist jetzt wirklich zu verwegen.
Also für mich hat Baselitz nicht die Berechtigung im KHM zu hängen. Sry. Aber in Wahrheit hängt ja Ropac dort.
Bilder
Bilder, die man aufhängt umgekehrt,
mit dem Kopf nach unten, Fuß nach oben,
ändern oft verwunderlich den Wert,
weil ins Reich der Phantasie erhoben.
Palmström, dem schon frühe solches kund,
füllt entsprechend eines Zimmers Wände,
und als Maler großer Gegenstände
macht er dort begeistert Fund auf Fund.
Christian Morgenstern, Palmström
oder:
Deswegen, weil die Bilder verkehrt hängen, sind sie auch nicht besser.
nora bachel
Vermeer hat sich in der Tat nach Amsterdam geschlichen 😉
Die „Malkunst“ hängt jetzt im KHM ein paar Säle weiter.