Das Schöne an diesem Blog ist, dass ich dadurch so viel Neues kennenlerne. Kürzlich engagierte mich zum Beispiel die Galeristin Michaela Stock, einen Text über Ines Rieder zu schreiben. Ich, unwissend mal wieder, fragte blöd: Ines wer? Es stellte sich heraus, dass die Historikerin, Autorin, Feministin und Journalistin wesentliche Beiträge zur Erforschung lesbischer Geschichte geleistet hat. Und sie vermietete Michaela ihre Galerieräume. Leider starb sie 2015. Michaela ließ sich nun ein schönes Projekt einfallen, gemeinsam mit Marlene Rodrigues, Ines Rieders Witwe: Sie lud diverse Leute zu einer Hommage an Rieder ein, deren Nachlass heute im STICHWORT Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung liegt. Das umfassende Projekt „Gedankenwelt Ines Rieder“ aus der Serie Salon Virtual / Real läuft noch bis Ende August in und rund um die Galerie in der Schleifmühlgasse 18.
Die Forschung und die Schmetterlinge

Die Bandbreite ist groß: Rodrigues spürte ihrer verstorbenen Liebsten gemeinsam mit Christina Ryan-Öger und Jesus N. Rivero in einem Kurzfilm nach; die Klangkünstlerin Elisabeth Schimana amalgamierte Aufnahmen mit Ines Rieders Stimme und einer Klavierkomposition zu Musikstücken auf unterschiedlichen Tonträgern; die Künstlerin Denise Schellmann arrangierte in ihren Bildern Schmetterlinge mal zu Rastern, dann zu Knäueln (um damit Ines Rieders Zugang zur Forschung anzudeuten); ihre Kollegin Lilo Nein widmete Ines Rieder ein Gedicht, das sie als Foto-Text-Arbeit und als Aufnahme präsentiert; Stadtspaziergängerin Petra Unger führt durch das lesbische Wien; das Ensemble arboirne extended gibt ein „Konzert für Ines Rieder“; und ich schrieb einen Text über Rieder, der in der Ausstellung hängt, auch in der virtuellen.

Gibt es was Besseres?
Vorigen Sonntag erinnerte sich frühere Grünen-Politikerin Ulrike Lunacek, die Ines Rieder sehr nah stand, in einem überaus bewegenden Vortrag an sie. Danach erzählten die Besucher:innen von ihren Erinnerungen oder Assoziationen zu ihr. Je länger ich dort saß, desto mehr bedauerte ich, dass ich Ines Rieder nie kennenlernen durfte.

Was mich mit ihr verbindet, ist die Freude am Recherchieren und am Entdecken: Es gibt doch nix Besseres, als zum Beispiel in Leben und Zeit einer bestimmten Persönlichkeit einzutauchen – oder? Da ich selbst gerade die Biografie über die grandiose Künstlerin Margot Pilz geschrieben habe, interessierte mich natürlich besonders Ines Rieders Zugang zum biografischen Schreiben. Und hier ist der Text, den ich beisteuerte:
Bauen wir das Haus neu!
In ihrem Standardwerk „Wer mit wem? Hundert Jahre lesbische Liebe“ schreibt Ines Rieder über ihre Erziehung: „Das Gerüst, welches in meinem Kopf aufgebaut wurde, setzte sich puzzleartig aus vielen sogenannten berühmten Männern zusammen. All die biographischen Notizen über Männer waren wie Bausteine für ein inneres Haus, welches im Laufe der Jahre voller und voller wurde.“
Wem ist es nicht so ergangen? Jahrhunderte lang wuchsen Frauen in der Gewissheit auf, dass die Geschichte fast ausschließlich von Männern bestimmt wurde (einzige Ausnahme: Kaiserin Maria Theresia). Ebenso die Kunst. Noch rund um das Jahr 2000 erklärte mir ein Kunstgeschichte-Professor in Wien, dass es keine Surrealistinnen gebe. Diesem Narrativ stellte sich Ines Rieder entgegen, mit ihren vielen Recherchen, ihren Biografien über Frauen, ihren Beiträgen zu Ausstellungen und TV-Dokus. In ihren Büchern über Margarethe Csonka-Trautenegg, deren Name pseudonymisiert erscheint („Heimliches Begehren“, gemeinsam mit Diana Voigt) und Mopsa Sternheim, posthum erschienen („Mopsa Sternheim. Ein Leben am Abgrund“) erzählte sie aus deren Biografien heraus Geschichte des 20. Jahrhunderts, in „Wer mit wem?“ spürte sie lesbischen Netzwerken nach.
Ich lasse mir im STICHWORT Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung einige Mappen aus Ines Rieders Nachlass ausheben – Material, das sie im Zuge ihrer Spurensuchen zu weiblichen Biografien zusammengetragen hat: briefliche Auskünfte aus Archiven und Museen, Notizen von Gesprächen, Kopien von Fotos, Ausdrucke von Porträts, Briefe von Adeligen, die auf Ines Rieders Anfrage ihren Stammbaum durchgeforstet haben, Typoskripte mit Korrekturen, energisch aufs Blatt geworfen.

Es gibt dieses Kribbeln, das eine im Laufe einer Recherche immer wieder befällt. Dieses: Das will ich jetzt sofort wissen! Dieses Buch muss ich jetzt sofort bekommen! Dann möchte man, zum Beispiel, am liebsten in der Nacht in die Nationalbibliothek einbrechen. Und dann gibt es noch eine andere Sorte von Kribbeln: Wenn man auf eine vielversprechende Quelle stößt, die einem den Horizont öffnen kann. Vor den Mappen im STICHWORT Archiv sitzend, stelle ich mir vor, wie es bei Ines Rieder kribbelte. Im Vorwort ihrer Mopsa-Sternheim-Biografie schildert sie, wie sie in der Universitätsbibliothek in Berkeley auf einen kurzen Lebenslauf Sternheims stolpert – und zwar einzig und allein deswegen, weil sie „unvorsichtigerweise ein paar Bücher umgestoßen“ habe. Was für ein Glücksgefühl muss sie bei dieser zufälligen Entdeckung empfunden haben! Das ist es, was uns dazu bringt, die Dinge weiterzuverfolgen, auch über Durststrecken hinweg. „Wie kann ich all dem Sinn geben?“, schreibt Ines Rieder ebendort. „Die Flut des vorhandenen Materials droht mich wegzuschwemmen.“ Das Kribbeln, das sind die Boote, die uns über die Flut tragen. Aus den Materialien, die sie hinterließ, spricht diese Freude am Recherchieren, Zusammentragen und Aufspüren von Informationen, die schließlich zu einem großen Mosaik gefügt werden.
Oder zu einem Haus?
„Erst nach Abschluss meiner Schullaufbahn“, schreibt Rieder in „Wer mit wem?“, hatte ich genug Zeit – und offensichtlich nicht mehr genug Hindernisse – um mich an den Neubau des Hauses, bewohnt von Frauen, zu machen.“ Genau! Es reicht nicht, ein paar Erkerchen anzubauen an das Berühmte-Männer-Haus, es ist zu wenig, ein paar Bilder hineinzuhängen, und wir können uns auch nicht mit einem Dachbodenausbau begnügen: Wir müssen das Haus neu bauen, von Grund auf. Ines Rieder zeigte uns, wie.

Galerie Michaela Stock: „Gedankenwelt der Ines Rieder“, Schleifmühlgasse 18, 1040 Wien
Ja, ein Neubau für unser eigenes Haus! HERSTORY!!!
Wir arbeiten daran!
Das Gedicht hat mich sehr berührt: von Lilo Nein, „Von jetzt über damals bis heute – Gedicht für Ines Rieder“.
Leider schaffe ich es nicht nach Wien zu kommen in den kommenden Monaten um die Ausstellung zu sehen.
Viele Grüsse aus Amsterdam
Angelika
Danke für die Nachricht! Die Ausstellung gibt es auch virtuell (s. Link oben), aber real life ist natürlich immer besser! P.S.: Ich beneide dafür alle in Amsterdam momentan um die Ausstellung im Rijksmuseum.