Die Wahrnehmungsschwelle zwischen Osten und Westen Österreichs liege bei Salzburg. Was darüber hinaus geschehe, nehme man nicht mehr wahr. Das sagte mir letztens Peter Assmann, der seit 2019 das Tiroler Ferdinandeum leitet. Und leider, leider, er hat Recht. Denn wie sonst wäre es möglich, dass mir bisher dieses pointierte Kunstwerk von Ursula Beiler und die Aufregung darum entgangen ist?
Göttin im Kreisverkehr
Die Kuratorin Rosanna Dematté, die im Ferdinandeum arbeitet, hatte mich zu einem Gespräch mit Ingeborg Erhart, heute Vizedirektorin der Akademie für bildende Kunst in Wien, früher künstlerische Leiterin und Co-Geschäftsleiterin der Tiroler Künstler*schaft, moderiert von meiner Kollegin Ivona Jelčić. Es ging um Feminismus und öffentlichen Raum. Natürlich diskutierten wir nicht vor Publikum; ihr findet das Gespräch aber hier.
Der Anlass war ein Kunstwerk von Ursula Beiler: Sie hatte, schon 2009, ein Schild neben der Autobahn bei Kufstein aufgestellt. Darauf ist in pink umrandeten Buchstaben die Aufschrift „Grüss Göttin“ zu lesen. Heute steht es an einem Kreisverkehr in Innsbruck, eine Kopie davon thront nun am Dach des Tirol Panoramas, das vor zehn Jahren für das Riesenrundgemälde gebaut wurde. Dort ist es – halbwegs – sicher vor Vandalenakten.

Die erste Version, Ergebnis eines Wettbewerbs von Kunst im öffentlichen Raum Tirol, war und ist das leider nicht. Auf einer großen Collage, die Ursula Beiler im Inneren des Tirol Panoramas zeigt, sieht man, was die Leute mit dem Kunstwerk so alles anstellten. Seit Ursula Beiler es erstmals aufgestellt hat, wurde es ständig übermalt. Bis heute! Aus der „Göttin“ wurde ein „Gott“, verlängert durch „in Tirol“, dann wieder überschrieb jemand die Göttin mit „Hötting“, dem Namen eines Stadtteils in Innsbruck, auch „Christ Gott“ war zu lesen. 60 Mal musste das Kunstwerk wieder in seinen Originalzustand versetzt werden. Laut Ursula Beiler hat das mehr gekostet als die Arbeit selbst. Ein Aufwand, den sie sich immerhin beim Meme der Tagespresse-Witzbolde ersparte. Die „Grüss Göttin“ erweiterte Ursula Beiler übrigens mit Porträts von Frauen, die mit einer Aura umgeben sind. Diese kaschierte sie auf eine nackte Säule, die in der Präsentation, die patriotisch-patriarchal die Tiroler Freiheitskämpfe abfeiert, den „unbekannten Frauen“ gewidmet ist.
In der Tiroler Tageszeitung (TT) zeigte sich eine Leserbriefschreiberin hocherfreut über die Tat, die dem „die Tiroler Ordnung untergrabenen Kunstwerk den Garaus gemacht“ habe. Ein Schützen-Bataillonskommandant meinte, ebenfalls in der TT: „Die Tafel ist eine Verfälschung unserer Werte, unserer Identität und eine Verfälschung unseres christlichen GLaubens.“ Eine FPÖ-Stadtpolitikerin bezeichnete Ursula Beiler als „angebliche Künstlerin“, deren einziges Können in der Provokation läge. Diverse Vertreter, sogar Vertreterinnen der Kirche beschwerten sich, die Diözese Salzburg forderte die Entfernung des Kunstwerks.
Volkes Zorn
Dazu schrieben viele aufgebrachte Bürgerinnen und Bürger wütende Briefe – des Volkes Zorn kochte hoch im Heiligen Land Tirol. Man könnte meinen, Ursula Beiler hätte das verpflichtende Gendersternchen sowie die Schleifung sämtlicher Kirchen in Tirol gefordert, so heftig war die Aggression, ja, der Hass, der ihrem Schild entgegenschlug, das sich eigentlich nur durch zwei Buchstaben und zwei Punkte von anderen Tafeln unterscheidet, die an Ortseingängen üblicherweise ihre Besucherinnen und Besucher begrüßen. Das „Tiroler Journal“, Hetz-Blog eines einstige Team-Stronach-Politikers, lobte die Zerstörung des Kunstwerks: „Eine beherzte Tat für den Herrgott!“

Später montierte die Bezirkshauptmannschaft Kufstein die „Grüss Göttin“ ab. Die Genehmigung war schon einmal verlängert worden, für eine weitere Prolongation aber knickte der Bezirkshauptmann unter den Stapeln an Protestbriefen und -mails ein. Dann sollte das Schild bei der Hungerburgbahn in Innsbruck einen Platz finden. Dagegen starteten Nonnen, die gegenüber dem geplanten Standort ein Krankenhaus betreiben, sogar eine Petition: https://www.derstandard.at/story/2000068347164/weiter-keine-goettinnendaemmerung-in-tirol Das Gute ist: Ursula Beiler hat ein im besten Sinn umstrittenes Kunstwerk geschaffen. Denn sie erhielt auch viele positive Reaktionen. So entsteht Streit und Debatte. Haben wir leider immer noch notwendig, denn nichts ist selbstverständlich.
Mitgemeint!
Ich weiß nicht, ob ein Kunstwerk wie das von Ursula Beiler auch in Wien, Niederösterreich oder dem Burgenland einen solchen Proteststurm hervorrufen würde wie in Tirol, das momentan sowieso nicht die beste Presse hat und als ziemlich rückständig in Sachen Frauenpolitik gilt (siehe zum Beispiel dieses sehr aufschlussreiche Gespräch von „Ganz offen gesagt“ mit dem Kabarettisten Markus Koschuh). Wahrscheinlich nicht. Andererseits, wenn man sich die ganze Debatte um eine gendergerechte Sprache anschaut – wie zum Beispiel jetzt gerade die neue Haltung des Duden sofort mit ausschließlich ablehnenden Stimmen kommentiert wird, und das in einem linksliberalen Medium – dann merkt man, dass sich der Spaß spätestens beim generischen Maskulinum aufhört.
Nur: Wer glaubt, dass in dem Begriff Gott die weibliche Seite ohnehin enthalten ist, kann doch umgekehrt mit der Göttin kein Problem haben, oder? Denn dann ist bei der Göttin umgekehrt die männliche Seite ja ebenfalls mit dabei. So ist das halt, wenn man mitgemeint ist. Steht der liebe Gott da nicht drüber?

Liebe Nina! Vielen Dank für dein Interesse, das Gespräch im Museum und den tollen Artikel zu „GRÜSS GÖTTIN“
Es war super! Hab mich sehr gefreut, mal wieder echte Menschen und die GRÜSS GÖTTIN kennenzulernen!
ja, ja, so ist das mit dem Mitgemeinten, da scheiden sich die Geister, es wird immer noch mit zweierlei Mass gemessen, der Wiederstand ist groß. Übrigens nicht nur in Tirol, auch in Frankfurt, München und Washington gab es Widerstand mit der weiblichen Seite Gottes….Das Patriarchet grüßt lieber weiterhin mit Grüß Gott!
Wir können uns auch fragen, wer hier der Gegenderte ist. Die Göttin war doch vor dem Gott! Das haben wir ja bei unserem Treffen in Tirol ausfindig gemacht.
wir lieben die Arbeit von Ursula Beiler „Grüß Göttin“ – sie ist bei der Auffahrt Innsbruck Mitte zu sehen – jedesmal wenn wir vorbeifahren!! Eva Schlegel und Carl Pruscha
Ich finde, ein besonders gelungenes Beispiel für Kunst im öffentlichen Raum!
Danke Eva! Das freut mich sehr!
Liebe Nina Schedlmayer, danke für Ihren Blog. Ich lese ihn immer gerne und habe ihn heute auch mit meinen Studierenden geteilt; ich hoffe, dass ihn viele abonnieren. Über manche Themen kann man (leider auch 2021) nie genug lesen, reden, erfahren. Herzlichen Dank.
Liebe Grüße, Anna Reisenbichler
Oh, das freut mich! Danke fürs Teilen..