„Musste Überzeugungsarbeit leisten“

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Gabriele Schor erfand den Begriff „Feministische Avantgarde“. artemisia.blog traf sie zum Interview beim Energiekonzern Verbund, dessen Kunstsammlung sie leitet.

 

Wer sich in Wien mit Kunst und Feminismus beschäftigt, kommt an dieser Frau fix nicht vorbei: Gabriele Schor. Sie leitet des Sammlung des Energiekonzerns Verbund und kauft dafür konsequent feministische Kunst, viel davon aus den 1970er-Jahren. An neun Ausstellungsorten zeigte sie diese bereits, in Wien zum Beispiel im Mumok, aber auch in der Hamburger Kunsthalle oder dem Brüsseler BOZAR. Mit Publikationen pushte sie Künstlerinnen zusätzlich. Demnächst eröffnet sie in der „Vertikalen Galerie“ – so der euphemistische Name für das Stiegenhaus der Firmenzentrale – eine Ausstellung von Louise Lawler. Die amerikanische Fotokünstlerin repräsentiert den zweiten, weniger bekannten Sammlungsschwerpunkt: Orte und Räume. In ihrem Büro, direkt unter dem Dach des Firmensitzes, erzählte Gabriele Schor mir über die Anfänge der Sammlung, warum Videos und Performance zu dominanten Medien der feministischen Kunst wurden und über die Gefahr, zur Tagesordnung überzugehen.

Gabriele Schor
Gabriele Schor, Sammlung Verbund, ©Katharina Gossow

artemisia.blog: Die Sammlung Verbund zeichnet sich durch ihren Schwerpunkt auf feministische Kunst der 1970er-Jahre aus. Der Katalog dazu ist all jenen Künstlerinnen gewidmet, deren Werk noch zu entdecken ist. Zum Beispiel?

Gabriele Schor: Die Widmung war mir wichtig, weil es noch so viele exzellente Künstlerinnen aus den 1970er-Jahren gibt, deren Werk zu wenig geschätzt wird. Unlängst haben wir Arbeiten der afroamerikanischen Künstlerin Emma Amos erworben. Eine Werkserie zeigt afroamerikanischer Frauen im Badeanzug, sie durften sich damals nicht in einem Schwimmbad mit weißen Personen aufhalten. Wir werden Anfang 2020 im International Center of Photography in New York die Feministische Avantgardezeigen. In Hinblick darauf war uns wichtig, afroamerikanische Künstlerinnen zu integrieren, dass ist gerade für die USA von Bedeutung. Wir haben also Arbeiten von Emma Amos, Howardena Pindell und Lorraine O‘Grady. Auch in Rom haben wir in der Galleria Nazionale d’Arte Moderna   der italienischen Künstlerinnen Ketty La Rocca einen großen Raum gewidmet.

artemisia.blog: Dort wurde 2010 der feministische Schwerpunkt der Sammlung Verbund als erstes gezeigt. War es am Anfang schwierig, Ausstellungsorte zu finden?

Schor: Anfänglich musste ich schon Überzeugungsarbeit leisten. Aber eine Kuratorin und die Direktorin der Galleria Nazionale d’Arte Moderna hatten unsere Ausstellung in Istanbul mit beiden Schwerpunkten gesehen. Die feministischen Werke und die Wahrnehmung von Räumen und Orte. Das Museum in Rom wollte die Ausstellung mit unseren beiden Schwerpunkten übernehmen, unter anderem mit Werken von Fred Sandback, Gordon Matta-Clark und Jeff Wall. Ich sah aber, dass wir genügend Exponate für unsere erste Themenausstellung zur Feministischen Avantgarde hatten.

artemisia.blog: Damals wurde der Begriff auch erstmals verwendet?

Schor: Ja. Die Ausstellung „Wack!“ spricht von der „feministischen Revolution“, das ist auch richtig. Revolution ist aber ein politischer Begriff. Ich habe mich für den kunsthistorischen Begriff der Avantgarde entschieden. Diese Künstlerinnen sollen endlich in unser kollektives Bewusstsein und in die Kunstgeschichte eingehen. .

Emma Amos
Emma Amos
Pool Lady, 1980
© Emma Amos / Ryan Lee Gallery, New York / Sammlung Verbund, Wien

artemisia.blog: Es fällt auf, wie positiv dieser Sammlungsschwerpunkt besprochen und bewertet wird, auch international. Gibt es gelegentlich auch Kritik?

Schor: Dass man Kunstwerke, die über 40 Jahre am Dachboden waren, endlich in einem internationalen Kontext verortet, daran gab es nie Kritik. Höchstens an Details, zum Beispiel daran, dass wenige afroamerikanische Künstlerinnen vertreten sind. Das haben wir für die Station in New York geändert.

artemisia.blog: Worauf meine Frage abzielt: Es wird immer groß gefeiert, wenn Künstlerinnen neu positioniert und platziert werden. Nur sind sie in vielen Ausstellungen und Museen dennoch oft zu wenig präsent. Also in der Theorie finden es alle toll, aber in der Praxis hinkt man oft nach. Ändert sich die Haltung tatsächlich?

Schor: Langsam. Es kommt immer darauf an, ob eine Direktorin oder ein Direktor einer Kunstinstitution ein feministisches Verständnis hat und erkennt, wie wichtig solche historischen Ausstellungen sind. Aber du hast schon recht, die Gefahr besteht, dass selbst wenn die Feministische Avantgarde gezeigt wurde, man wieder zur Tagesordnung übergeht.

artemisia.blog: Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder kritisierte den Begriff „Feministische Avantgarde“ und meinte, er ignoriere die Malerei und wichtige Künstlerinnen wie etwa Florentina Pakosta.

Schor: Die feministisch orientierten Künstlerinnen distanzierten sich in den 1970er-Jahren von der Malerei und wandten sich den neuen Medien, etwa Fotografie, Video und Performance zu. Es war in gewisser Weise ein Befreiungsakt, weil die Malerei über Jahrhunderte männlich konnotiert war und mit viel Pathos dem Malereigenie gefrönt wurde. Natürlich gibt es auch Feministinnen, die gemalt haben. Übrigens haben wir gerade einige Arbeiten von Pakosta erworben, es sind aber feministische Zeichnungen, keine Malerei.

Sophie Thun
Sophie Thun
Nest, 1979
S/W-Fotografie
© Sophie Thun / Bildrecht, Wien, 2018 / SAMMLUNG VERBUND, Wien

artemisia.blog: Malerei ist in der Sammlung aber tatsächlich kaum vorhanden. Warum kamen damals für feministische Anliegen eher Kamera und Performance zum Einsatz?

Schor: Margot Pilz hat mir erzählt, dass sie und ihre Kolleginnen in der IntAkt, der Internationalen Aktionsgemeinschaft bildender Künstlerinnen, darüber diskutierten, welche Medien sie verwenden sollten; viele von ihnen wollten dann weg von der männerdominierten Malerei. Fotografie war viel spontaner, man konnte Sachen schneller umsetzen. Schröder sieht das zu sehr aus der Perspektive der Malerei. Betrachtet man die Sache von der Seite der Feministischen Avantgarde aus, wird verständlich, warum es da wenig Malerei gibt. Und wir schließen sie ja nicht bewusst aus. Nur arbeiteten feministische Künstlerinnen eben stärker mit Neuen Medien.

artemisia.blog: Wird die Sammlung auch um jüngere Positionen erweitert?

Schor: Ja, auf jeden Fall. Zuletzt haben wir Zeichnungen von Maria Bussmann erworben, Arbeiten von Lena Henke, Sophie Thun und Roberta Lima. Als nächstes kaufen wir eine Rauminstallation von Jakob Lena Knebl und ein Gemälde von Ashley Hans Scheirl. Diese Positionen tragen Aspekte der Feministischen Avantgarde weiter und greifen neue auf.

 

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