Die Kunst, ihre Freiheit und die Misogynie

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Das Mail kam mit erhöhter Prioritätsstufe und dem Betreff „Anfrage“. Man plane, erklärte die Redakteurin einer Talkshow, eine Debatte über Cancel Culture. Einem Artikel entnehme sie, dass ich diese nicht als generelle Bedrohung der Kunstfreiheit betrachte. Wie ich zu Yung Hurn und dessen Auftritt bei der Festwocheneröffnung stehe. Und wo man die Grenze bei frauenfeindlicher Kunst ziehe.

Am Telefon erzählte sie, dass einige Gäste schon feststanden, darunter ein Kollege, als dessen Konterpart ich vorgesehen sei. Sie nannte seinen Namen. Es ist jemand, der sich gern als „politisch unkorrekt“ geriert. Es gibt wohl wenig, in dem wir einer Meinung sind.

Danach kam ein weiteres Mail. Darin waren die Namen der Gäste, die schon ihre Teilnahme zugesichert hatten, aufgelistet. Der Kollege wurde deklariert als „Befürworter der Kunstfreiheit“. Man bitte um definitive Zusage bis zum Abend, zwei Tage später um 11.15 solle ich mich einfinden.

Nach einigem Überlegen mailte ich meine Zusage. Man kann nicht beklagen, dass zu wenige Frauen in diesen Diskussionen sitzen und dann selbst kneifen. Und wenn es um die sogenannte Cancel Culture in der Kunst und Frauenfeindlichkeit geht, dann gäbe es einiges zu sagen.

Wie zum Beispiel toxische Männlichkeit die künstlerischen Ambitionen junger Regisseurinnen und Schauspielerinnen zerstört (was gerade durch eine Insta-Story der Regisseurin Katharina Mückstein aufkommt).

Wie zum Beispiel Schriftstellerinnen systematisch ignoriert wurden und werden (was die Literaturwissenschaftlerin Nicole Seifert darstellte).

Wie zum Beispiel der Kunstmarkt nach wie vor Künstlerinnen benachteiligt (was die nackten Zahlen beweisen).

Darüber konnte ich im Fernsehen dann doch nicht erzählen. Ich teilte nämlich auch mit, dass ich selbstverständlich ebenfalls für die Kunstfreiheit bin. Wenn man extra betont, dass der Kollege die Freiheit der Kunst befürworte: Geht man dann davon aus, dass ich gegen dieses Grundrecht bin?

Offenbar. Denn plötzlich war ich wieder ausgeladen. Die Begründung lautete: Man suche ein „Gegenüber“ für die Position des Kollegen. Anscheinend disqualifizierte mich für diese Rolle, dass ich die Verfassung der Republik Österreich nicht ablehne. Hoffte man auf einen zensurpeitschenknallenden Mini-Orbàn?

"Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit" Secession Wien, Foto: Jorit Aust
„Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“, Zitat von Ludwig Hevesi, Secession Wien, Foto: Jorit Aust

In ihrem klugen Buch „Hört einander zu!“ notierte die Schriftstellerin Elif Shafak: „Differenzierte Diskussionen sind weder im öffentlichen noch im digitalen Raum länger erwünscht. Stattdessen prallen Gewissheiten aufeinander. Talkformate tendieren dazu, Polarisation zu forcieren.“ Die Pole hätten wohl gelautet: Misogynie und Kunstfreiheit versus Feminismus und Zensur. Darauf kann ich gern verzichten.

In eine Talkshow zum Thema „Cancel Culture“ ein- und dann wieder ausgeladen zu werden, das ist an Skurrilität kaum zu überbieten. Was für ein wunderschönes Paradoxon!

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