Pornografie und Feminismus: großes Thema. Schwieriges Thema. Das zeigte sich erst unlängst bei diesem Alice-Schwarzer-Krach an der Angewandten. Was für eine Aufregung! Wenn man in den 1970er-Jahren als Künstlerin zu Pornografie und Sex arbeitete, hatte man es nicht leicht. Die Männer im Kunstbetrieb fühlten sich „exhibitioniert“, wie es Renate Bertlmann, die zum Beispiel gern mit Dildos arbeitete, ausdrückte. Innerhalb feministischer Strömungen überwog die PorNO-Fraktion. Und doch gewannen viele Künstlerinnen Sex-Images emanzipatorisches Potenzial ab – von Bertlmann und Penny Slinger über Miriam Cahn und Lee Lozano bis zu Orlan und Lynda Benglis. Auch die US-Amerikanerin Betty Tompkins beackert das Feld. Kaum je waren ihre Arbeiten in Wien zu sehen, zuletzt immerhin im Belvedere 21, in der Ausstellung „Der Wert der Freiheit“. Und Karin Pernegger kuratierte 2017 eine Soloshow von ihr im Kunstraum Innsbruck.

Airbrushgenitalien
Jetzt zeigt der Helmuts Club, der von Sydney Ogidan betrieben wird, eine Mini-Schau jüngerer Arbeiten, entstanden zwischen 2010 und 2017. „Girl on Girl“, kuratiert von Angela Stief, läuft leider nur mehr bis 21. Dezember (eigentlich sollte dieser Blogeintrag früher kommen, aber tja, das Leben, die Arbeit, die Familie). Die Ausstellung zeigt drei Gemälde, in Airbrush-Technik, extreme Nahaufnahmen von Vaginas, teils mit Masturbationsszenen. An einer Wand hängen außerdem ganz feine Zeichnungen, auf denen ebenfalls Genitalien zu sehen sind, sowie ein Kuss, sie tragen Titel wie „Cunt grid #23“ oder „Masturbation grid #10“.

Bei den Malereien entsteht durch die extreme Vergrößerung, aber auch durch die Verschwommenheit eine Distanz zum Sujet. Die Szenen sind schwarzweiß, grundiert von ganz zarten Rosa- oder Gelbtönen (das sieht man fast nur im Original) – eine Abstraktion, die den Zweck des Ausgangsmaterials ebenfalls ad absurdum führt. Betty Tompkins‘ Arbeiten ästhetisierten Pornografie, schreibt Angela Stief, „und beschreiben, wie aus realen Körpern Formen werden.“ Mittels dieser sexuell expliziten Arbeiten proklamiere sie „die Freiheit des künstlerischen Ausdrucks“. Die Heftigkeit der Pornografie konterkariert die Künstlerin durch den weichen Duktus. Interessant auch, dass sie ihre Gemälde nie berührt, wie sie auf artslant.com einmal erzählte: „Art is, to me, a magic act so that the airbrushes are the perfect tools for me to be working with.“

Stehenbleiben!
Kaum eine Künstlerin hat sich so intensiv mit der Materie beschäftigt wie die 1945 geborene Künstlerin. Seit 1969 beackert sie das Feld. Damals, erzählte sie in Interviews, habe ihr damaliger Mann Pornos aus Asien importiert. Die Künstlerin, gelangweilt von der Malerei, die sie damals in Galerien sah, beschloss, damit zu arbeiten. Einer der Gründe dafür: Sie „wollte, dass die Leute tatsächlich vor den Bildern stehen bleiben, um sich anzuschauen, was ich als Malerin mache“, wie sie 2006 Daniel Baumann in spike erzählte. Und in L’officiel Art sagte sie: „I thought if I cut off the hands, feet, faces, then I would be left with an image that was both abstract and lyrical but also charged.“

Der Erfolg ließ auf sich warten. Sehr lange. Heute, angesichts junger Netzkünstlerinnen, die auf Social Media Strategien der Selbstinszenierung aufzeigen, bekommt Tompkins‘ Kunst eine neue Relevanz. Daher, wieder mal der Wunsch ans Christkind: Bitte zeigen! In Wien! Größer! Vielleicht mit einem Symposion: „What would Alice Schwarzer do?“

„Betty Tompkins. Girl on Girl“, Helmuts Club, Margaretenstraße 6, 1040 Wien
Alice Schwarzer wird sehr gerne insofern missverstanden, dass sie das Darstellen von Sexualität in Fotografie oder Filmen ablehnt. Das ist natürlich Unsinn. Sie hätte auch sicher nichts an Betty Tompkins Arbeiten zu kritisieren – im Gegenteil. Schwarzer kritisiert Pornografie, die sie dadurch definiert, dass jemand im Zusammenhang mit Sexualität erniedrigt wird und Gewalt angetan wird. Und das ist bei Pornografie oft der Fall. Es geht ihr auch darum, dass junge Menschen, die solche Pornografie konsumieren (und das tun wohl sehr viele) Gefahr laufen, die Verbindung von Gewalt und Erniedrigung mit Sexualität als etwas Gegebenes zu verstehen. Und in Folge, die Entwicklung und das Finden ihrer eigenen Sexualität dadurch irritiert und erschwert ist.
Liebe Verena, damit hast du sicher recht – und natürlich will ich Alice Schwarzer nicht unterstellen, dass sie prinzipiell die Darstellung von Sexualität ablehnt. Es gab aber in den 70er-Jahren durchaus Feministinnen, die sich zum Beispiel gegen die Arbeiten einer Miriam Cahn stellten – nicht Alice Schwarzer. Dennoch würde mich interessieren, wie jemand, die Pornografie so vehement kritisiert, eine solche künstlerische Auseinandersetzung wahrnimmt. Jedenfalls ist die Debatte nach wie vor virulent, auch abseits von der Streiterei an der Angewandten (wobei es dort ja, zugegeben, auch und vielleicht sogar stärker um das Thema Islam ging). Ich kann sowohl Nora Bossongs „Rotlicht“ als auch Virginie Despentes‘ „King-Kong-Theorie“ vieles abgewinnen.
Danke für deinen Beitrag !