Rasante Achterbahnfahrt mit Delphine Seyrig

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Die Runde ist amüsiert. Was lässt es sich doch trefflich lachen über Frauen, diese komischen Wesen. Sie haben Hintern „wie Aprikosen“, können aber nicht zusammenhängend denken, und wenn sie darüber singen, dass ihr Mann ihr ein und alles ist, obwohl er sie schlägt: Was sollte das anderes sein als einfach ein Liebeslied? Ein großer Spaß, das alles. Hihi, haha, hoho. Auch das Publikum haut sich ab.
Die skurrile Fernsehshow, Ausgangspunkt der Arbeit „Miso et Maso vont en bateau“ („Miso und Maso fahren Boot“) der feministischen Gruppe „Les Insoumuses“, sah ich mit einer Mischung aus Übelkeit und Unglauben an. Sie ist ein Herzstück der aktuellen Ausstellung der Kunsthalle Wien: „Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre“, kuratiert von Nataša Petrešin-Bachelez und Giovanna Zapperi.

Les Insoumuses (Delphine Seyrig, Nadja Ringart, Carole Roussopoulos, Ioana Wieder), Maso et Miso vont en bateau [Maso und Miso fahren Boot], Filmstills, 1976, Courtesy Centre audiovisuel Simone de Beauvoir
Les Insoumuses (Delphine Seyrig, Nadja Ringart, Carole Roussopoulos, Ioana Wieder), Maso et Miso vont en bateau [Maso und Miso fahren Boot], Filmstills, 1976, Courtesy Centre audiovisuel Simone de Beauvoir

Für die Show hatte ein männlicher Moderator 1976 drei andere Männer sowie die französische Frauenstaatssekretärin, Françoise Giroud, zu einer „Diskussion“ über Frauen oder so irgendwie geladen. Die Staatssekretärin sollte, so das Setting, Aussagen misogyner Männer kommentieren. Das tat sie – und übertraf diese in ihrer Misogyne noch.

Dokument des Zorns

Auf die sexistischen Ausführungen eines grauslichen Typen sagt sie: „Er liebt die Frauen. Er ist fasziniert von ihnen“. Da erscheint plötzlich, Intervention der „Insoumuses“, das handgeschriebene Insert: „Auch Hitler war fasziniert von den Juden“. Noch mal die Staatssekretärin: „Er liebt die Frauen“. Noch ein Insert: „Wie der Mann, der uns in der Metro begrapscht.“ Manchmal überlagert eine Tonspur mit dem Gesang der „Insoumuses“ die Hihi-Haha-Diskussion, oder man sieht die Künstlerinnen gemeinsam vor dem Fernseher stehen und applaudieren – wenn wieder ein besonderer Schwachsinn gesagt wurde. So verwandseln sie diese unsägliche Veranstaltung in ein Dokument des Zorns darüber, der berechtigten Wut auf eine Frau, die die Interessen von ihresgleichen vertreten sollte, sie stattdessen jedoch verrät.

Videokamera als Mittel des feministischen Kampfs

Carole Roussopoulos: Delphine Seyrig und Viva bei den Dreharbeiten zu Sois belle et tais-toi! [Sei schön und halt die Klappe!], 1975, Courtesy Seyrig Archive, © Alexandra & Géronimo Roussopoulos
Carole Roussopoulos: Delphine Seyrig und Viva bei den Dreharbeiten zu Sois belle et tais-toi! [Sei schön und halt die Klappe!], 1975, Courtesy Seyrig Archive, © Alexandra & Géronimo Roussopoulos

Delphine Seyrig war Schauspielerin, spielte in Rollen bei Alain Resnais, Luis Buñuel, François Truffaut, Chantal Akerman und Ulrike Ottinger (warum die Kunsthalle ihre Lebensdaten, 1932 bis 1990 konsequent verschweigt, weiß ich übrigens auch nicht). Ab den 1970er-Jahren entdeckte sie gemeinsam mit anderen die Videokamera als Mittel des feministischen Kampfes. Diese kam in dokumentarischen Filmen zum Einsatz, in solchen die wie „Miso et Maso vont en bateau“ mit Found Footage und Gegenschnitten arbeiten, auch in inszenierten Arbeiten mit Skript. Die „Insoumuses“ – der Name setzt sich aus „Muses“, also Muse und „insoumise“, also widerständisch zusammen – gründete Seyrig gemeinsam mit Carole Roussopoulos und Ioana Wieder.

Große Männerfantasie

Die Ausstellung zeigt Gemeinschaftsarbeiten, aber auch viele, die die jeweiligen Protagonistinnen alleine produzierten. Eines der ersten Videos, die ausgestellt sind, trägt den schlichten Titel „Sois belle et tais-toi“, also: „Sei schön und schweige.“ Seyrig interviewte zahlreiche Schauspielerinnen, aber auch andere Frauen aus der Filmbranche über ihre Erfahrungen. Hier einige von deren Aussagen:

„Wenn du 35 bist, bist du fällig.“

„Letztlich ist das Kino eine große Männerfantasie.“

„Angeblich weckt schon mein bloßer Anblick Kastrationsängste“

Eine Frau erzählt von einem Paar, beide Regisseur*innen – nach der Scheidung wird sie an den Rand gedrängt. Eine andere berichtet, dass Kamerafrauen nicht zugetraut wird, das Arbeitsgerät zu heben. Sexuelle Belästigung kommt ohnehin ständig vor in dieser Arbeit aus dem Jahr 1976, Jahrzehnte vor MeToo entstanden.

Delphine Seyrig, Sois belle et tais-toi! [Sei schön und halt die Klappe!], 1976, Filmstill, Courtesy Centre audiovisuel Simone de Beauvoir

„Blut des Fötus“


Viele Filme entstanden auch auf Demos. Roussopolos sagte: „Die Menschen, die ich aufnehme, können die Sequenz ein paar Mal ansehen. Das gibt ihnen die Kontrolel über ihr Bild und ihre Aussage.“ Eine heftige Doku zeigt eine Abtreibung – nachdem wir einen bigotten Typen mit betroffener Miene bedeutungsschwere Sachen sagen hören wie „Das Blut des Fötus ist rot“. In einem anderen Video sprechen Prostituierte darüber, wie ihre Freier sie schäbig behandeln.

Ausstellungsansicht: Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre, Kunsthalle Wien 2022, Foto: Markus Wörgötter
Ausstellungsansicht: Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre, Kunsthalle Wien 2022, Foto: Markus Wörgötter

Auch über die Grenzen des Landes blickten die Filmemacherinnen. In einem Video von Françoise Dasques über eine Frauenkonferenz in Nairobi 1985 tritt eine Schwarze Aktivistin für eine adäquate Sichtweise auf die Probleme Schwarzer Frauen ein, mit Nachdruck und Verve: Intersektionalität, bevor es den Begriff überhaupt gab. In diesem Zsuammenhang sagte die Kuratorin Nataša Petrešin-Bachelez: „Es ist ein Beispiel dafür, was jemand aus einem privilegierten Hintergrund heraus tun kann. Das hat uns beeindruckt.“

Stromstöße

Am schwersten zu ertragen ist der Film „Inês“, bei dem Seyrig Regie führte und die Hauptrolle spielte. Er erzählt die Geschichte von Inês Etienne Romeu, einer politischen Gefangene in Brasilien, die zum Opfer von Folter wurde. Seyrig stellt diese Folter drastisch dar – wird kopfüber auf einem Foltergerät aufgehängt, Stromstöße versetzen ihren Körper in entsetzliche Zuckungen, eine Vergewaltigung wird angedeutet. Am Ende liegt sie völlig erschöpft, ein einziger großer Schmerz, in einer Ecke – und kriecht mit letzter Kraft über den Boden.

Dazwischen erscheint immer wieder das Foto der echten Inês Etienne Romeu – eine Erinnerung daran, dass das hier keine Fiktion ist. „Widerständige Musen“ zeigt auch, wie Künstlerinnen die Grenzen der Kunst- und Filmwelt überwinden. Viele Videos wurden, so erzählten die Kuratorinnen, nicht nur im Kontext der Kunst oder des Films gezeigt, sondern auch bei Tagungen und Kongressen. Häufig kamen eben jene zu Wort, die sonst nur Objekte von Gesprächen waren, selbst aber nie gefragt wurden.

Delphine Seyrig, Inês, Filmstills, 1974, Courtesy Centre audiovisuel Simone de Beauvoir
Delphine Seyrig, Inês, Filmstills, 1974, Courtesy Centre audiovisuel Simone de Beauvoir

Wer sich auf die Ausstellung einlässt, erlebt eine echte Achterbahnfahrt: zwischen dem Sexismus, der diesen Frauen widerfuhr einerseits und andererseits ihrer Kraft, ihrem Zorn, ihrem Mut, der sie einte und sie zum gemeinsamen Kampf antrieb: große Vorbilder für alle jüngeren Generationen.

Ausstellungsansicht: Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre, Kunsthalle Wien 2022, Foto: Markus Wörgötter
Ausstellungsansicht: Widerständige Musen. Delphine Seyrig und die feministischen Videokollektive im Frankreich der 1970er- und 1980er-Jahre, Kunsthalle Wien 2022, vorne groß: „Sais belle et tais-toi“, Foto: Markus Wörgötter

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