Leopoldine von Habsburg, Kaiserin und Gewaltopfer

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Spät, aber doch lese ich gerade erstmals Texte von Gerda Lerner. Die gebürtige Wienerin musste als junge Frau flüchten und begründete in den USA die feministische Geschichtswissenschaft. In ihrem 1979 erschienenem Buch „The Minority finds its past“ (deutsch: „Frauen finden ihre Vergangenheit“) schreibt sie über die „Dualität der gesellschaftlichen Stellung der Frauen“.  Frauen, so Lerner, seien „untergeordnet und doch zentral; zu Opfern gemacht und dennoch aktiv beteiligt“ und hätten „immer tatkräftig und im Zentrum des Geschichtsprozesses gewirkt.“ 

Untergeordnet und zentral war auch Leopoldine von Habsburg (1797–1826). Mein Problem mit den Habsburgern ist: Sie zählen so sehr zum alles durchdringenden Mythos dieses Landes, man huldigt ihnen in touristischen und auch kulturellen Belangen bis heute so sehr, dass ich kaum mehr von ihnen hören kann. Dieser ganze Sisi-Kult, der weiter angetrieben wird von Netflix-Serien und Filmen, geht mir ziemlich auf den Geist (gut, „Corsage“ hab ich dann doch angeschaut). 

Reimer
Georgia Creimer, „Auge (For Leopoldine)“, 2023 (c) Günter Richard Wett

Imagine Leopoldine

Aber: Es ist ein großer Fehler, die Ohren zuzuklappen, wenn es um Leopoldine, auch genannt Leopoldina oder Maria Leopoldine, geht. Das erkannte ich, wie so vieles im Leben, erst durch die Kunst.

Schon seit geraumer Zeit betreibt die Kuratorin Christine Bruckbauer im 2. Wiener Bezirk einen kleinen, feinen Raum mit dem schönen Namen philomena+. Dort zeigt sie gerade Arbeiten dreier Künstlerinnen, die sich mit Leopoldine von Habsburg befassen, unter dem Titel „Imagine Leopoldine“.

Die Geschichte der Leopoldine geht ungefähr so: Am Wiener Kongress beschloss ihr Vater, Kaiser Franz I., sie mit dem portugiesischen König in Brasilien zu vermählen (die berühmte österreichische Heiratspolitik). Diese kannte von ihrem Zukünftigen, Dom Pedro, bloß ein kleines Bildnis, als sie ihn heiratete – und zwar in seiner Abwesenheit! Am Gelände des heutigen Porzellanmuseums im Augarten fand das Fest statt. Leopoldine muss eine kluge und sehr gebildete Frau gewesen sein. Sie betrieb Pflanzenstudien und widmete sich der Mineralienkunde. Mit der österreichischen Brasilien-Expedition, die gerade das Naturhistorische Museum in Wien beleuchtet, schiffte sie sich dann in ihre künftige Heimat ein. Neun Schwangerschaften durchlitt sie, währenddessen geschah einiges: Ihr Schwiegervater ging zurück nach Portugal, denn dort war die Monarchie bedroht.

Als Dom Pedro mit ihm ziehen wollte, hielt Leopoldine ihn auf, brodelte es doch auch in Brasilien gerade. Ihr Mann setzte sich mit denen, die gegen sein kolonisierendes Reich rebellierten, an einen Tisch und Leopoldine als Kaiserin ein. Diese beschloss dann, dass Brasilien unabhängig werden sollte. Das war 1822, die Regentin gerade 25 Jahre alt. Sie hatte nur mehr wenige Jahre vor sich: Derselbe Dom Pedro, der ihr seinen Frieden verdankte, sollte sie – schon wieder schwanger – derart schlagen, dass sie eine Fehlgeburt erlitt und daran verstarb. 

Alina d’Alva Duchrow: „Maria Do Brasil“, „Ein vorteilhaftes Bündnis“, 2023 (c) philomena+

Wie in Trance

Dieses kurze und wilde Leben reflektieren nun im philomena+ die Künstlerinnen Alina d’Alva Duchrow, Georgia Creimer und Vitória Monteiro aus verschiedenen Perspektiven. Im hintersten Raum hat Creimer, die in São Paulogeboren ist, eine Videoinstallation aufgebaut. Auf einer ovalen Projektionsfläche ist ein Einblick in eine Brasilien-Ausstellung im Porzellanmuseum zu sehen, mit einer Arbeit der Künstlerin selbst. Genau an jenem Ort, an dem Leopoldine mit einem abwesenden Bräutigam verheiratet wurde, projizierte die Künstlerin auf einem Oval ein Video, auf dem eine junge Frau in Weiß über Wasser schwebt. Sie bewegt die Arme, räkelt sich, streicht sich durch die Haare, wird hin- und hergetrieben, ohne ihr eigenes Zutun. „Man sieht eine junge Frau, die ihre flüssige und fließende Umgebung zu erkunden scheint. Ihre Bewegungen haben etwas von einer somatischen Intelligenz. Sie ist wie in Trance und strahlt starke Sensibilität aus“, schreibt die Künstlerin auf ihrer Website. „Die instabile Position der ovalen Fläche wirkt, als wäre sie im Begriff, sich zu heben und in die Luft aufzusteigen.“ 

Georgia Creimer, „Auge (For Leopoldine“, 2023 (c) philomena+

„Von Herzen Brasilianerin“

Alina d’Alva Duchrow, geboren im brasilianischen Fortaleza, zeigt eine Installation aus drei Standarten und einer Hängematte. Sie ging, erzählte sie mir bei meinem Besuch, von dem „heutigen Bild von Leopoldine in Brasilien“ aus. Über die ornamentierte Hängematte ziehen sich Linien – ein Straßennetz, das nach Leopoldine benannt wurde. Dazu fertigte die Künstlerin prächtige Standarten an, mit viel Pailletten, Federschmuck, Glanz und Glitzer. Ein bisschen trashig (ich steh ja auf sowas), und, wie Alina sagt, eine Anspielung auf den Karneval von Rio. Die dortigen Kostüme bestehen aus ähnlich billigem Material. „Ich verwende die Sprache des Karnevals“, sagt Alina, „eine Mischung aus dem Katholischen der Portugiesen und afrikanischen Einflüssen.“ Von einer der Standarten blicken zwei jugendliche Gesichter: Kinder, die aus Brasilien nach Europa verschleppt wurden. „Saudade“ steht in großen Lettern darüber: „Sehnsucht“, ein Wort, das in Brasilien von großer Bedeutung ist. Die „Saudade“ nach ihrer österreichischen Heimat beschrieb Leopoldine immer wieder in Briefen, aus denen hier auch Zitate aufgestickt sind. Die „Saudade“ der indigenen Kinder Iñe-e und Juri, die später in München leben sollten, blieb freilich unbeachtet. Auf der nächsten Flagge springt uns ein Herz entgegen, darunter die Aufschrift „Ich werde stets von Herzen Brasilianerin sein“, wieder ein Zitat aus einem Brief von Leopoldine. Das zeigt sehr schön, wie die Kaiserin als Migrantin zwei Heimaten hatte – eine, nach der sie sich sehnte, eine, in der sie lebte, offenbar gern. 

Alina d’Alva Duchrow: „Saudade“, 2023, (c) philomena+

Poncho für Leopoldine

Vitória Monteiro griff die Tatsache auf, dass die Kaiserin Opfer wurde. Das ist leider ein immer aktuelles Thema, besonders in Österreich. Über große Stadt- und Landkarten druckte die Künstlerin das Motiv eines Ponchos, und zwar eines ganz besonderen: Diesen gab einst ihre Großmutter Monteiros Mutter, als diese in die Stadt zog – zum Schutz vor dem Bösen. Unter anderem bearbeitete Monteiro eine alte Brasilien-Karte, in der sie die Expedition der Österreicher nachzeichnet. Dort, wo üblicherweise die Legende abgebildet ist, notierte sie die Lebensdaten, bis hin zu „Leopoldinas Femizid“. Als Teil der Arbeit hat die Künstlerin einen Workshop initiiert, in Kooperation mit der Interventionsstelle Wien, einem Gewaltschutzzentrum. Mit Frauen produziert sie nun einen „Poncho für Leopoldine“ – wobei der Name der Kaiserin für weibliche Gewaltopfer generell steht. 

Monteiro
Vitória Monteiro, „Die österreichische Expedition in Brasilien“, 2023, Billboard (c) philomena+

Die von Gerda Lerner beschriebene Dualität – dass Frauen sowohl Opfer als auch zentrale Gestalterinnen historischer Prozesse sind – führt diese Ausstellung exemplarisch an der Kaiserin vor, die gewaltsam zu Tode gebracht wurde. 

Demnächst besorge ich mir auch das Buch von Ursula Prutsch über Leopoldine von Habsburg, das im Vorjahr erschien. Über diese Frau muss ich mehr erfahren. Obwohl sie Habsburg hieß. 

Nachtrag 25.2.: Auch die Künstlerin Birgit Graschopf arbeitete zu Leopoldine, mehr dazu hier: https://birgitgraschopf.com/index.php/a-multifacetada/

Ursula Prutsch: „Leopoldine von Habsburg. Kaiserin von Brasilien – Naturforscherin – Ikone der Unabhängigkeit“, Molden Verlag, Wien 2022

Monteiro
Vitória Monteiro, „Die österreichische Expedition in Brasilien“ 2023, Detail, (c) philomena+

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