Kunst und Mutterschaft: mehr als eine Energie!

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Es kann schon schmerzen: Wenn Künstlerinnen, die man seit einem viertel Jahrhundert verehrt, Haarsträubendes von sich geben. Jüngst passierte es wieder, und zwar bei der Lektüre eines Interviews mit Marina Abramović im „Standard“. Was sie sagte, hatte sie zwar ohnehin schon früher dort oder da mal wo behauptet – dass meine persönliche Performance-Heldin Kunst und Mutterschaft für miteinander nicht vereinbar hielt, war mir bekannt. Vielleicht nervte mich auch ihre neuerliche Behauptung dessen in Kombination mit der Headline: „Political Correctness ist kompletter Bullshit“, so wurde sie genüsslich zitiert. Ziemlicher Bullshit ist wahrscheinlich in Wirklichkeit, dass es „viele wichtige Arbeiten“ aus den Seventies heute aufgrund von „Political Correctness“ nicht mehr gäbe, wie Abramović glaubt. Ach, diese bösen Feminist*innen/Dekolonialisierer*innen/Transgenderaktivist*innen usw., die uns alles verbieten wollen! Zu diesem Thema empfehle ich nachdrücklich das 2022 von dem Literaturwissenschafter Adrian Daub herausgebrachte Buch „Cancel Culture Transfer. Wie eine moralische Panik die Welt erfasst“, das die fast grotesken Mechanismen dieses schlicht gedachten Diskurses glasklar analysiert. 

„They are called men“

The one and only Abramović jedenfalls verlautbarte in dem Interview wortwörtlich: „Es war mir immer klar, dass ich mit Kindern nicht erfolgreich werden könnte. Man verfügt nur über eine Energie im Körper. Für mich war es Kunst, die Entscheidung war einfach.“ So ähnlich sagte sie es auch 2016 dem Tagesspiegel auf die Frage, ob sie nie Kinder wollte: „Ich habe drei Mal abgetrieben, weil ich überzeugt war, dass es ein Desaster für meine Arbeit wäre. Man hat nur so und so viel Energie in seinem Körper, und die hätte ich teilen müssen.“ Damit suggeriert sie freilich, dass andere sich ebenso entscheiden müssten. Tracey Emin nimmt, wie Art Newspaper 2014 schrieb, eine ähnliche Haltung ein. Sie wäre im Fall entweder 100 Prozent Künstlerin oder 100 Prozent Mutter gewesen. Ihre Schlussfolgerung lautete: „There are good artists who have children, of course there are. They are called men.“ Das hat schon fast Baselitz-Dimensionen. 

Artemisia Gentileschi: Selbstporträt als Allegorie der Malerei, 1638-1639 (Bild: Google Cultural Institute, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=37146117)

Jetzt bin ich die Letzte, die sich Illusionen macht über die gerechte Aufteilung von Care-Arbeit in Hetero-Beziehungen, über die Freiräume künstlerisch tätiger Mütter, den Gender-Pay-Gap (der häufig ein Mother-Pay-Gap ist) in der Kunst, den Mütteranteil bei erfolgreichen Künstlerinnen. Mir fehlt gerade das Zahlenmaterial dazu, doch tatsächlich haben sehr viele Frauen, deren Werke hoch gehandelt oder in großen Museen ausgestellt werden, keine Kinder, weitaus mehr als Männer. Dieses Ungleichgewicht zu leugnen wäre naiv. Ebenso bin ich, obwohl selbst sehr beglückt mit einer wunderbaren Tochter, die Letzte, die Mutterschaft verklärt. In vielen Lebenssituationen wäre ein Kind eben tatsächlich ein Desaster, und alle müssen selbst entscheiden dürfen, ob sie eins wollen oder nicht, ohne sich vor irgendjemand rechtfertigen zu müssen. Sobald wir erneut für den straffreien Schwangerschaftsabbruch demonstrieren müssen, stehe ich parat.

Brigitte Kowanz (Foto: Alfred Weidinger (c) Bildrecht)
Brigitte Kowanz (Foto: Alfred Weidinger (c) Bildrecht)

Zehn Gründe

Doch genauso geht mir dieses Narrativ auf den Wecker, das sich ausschließlich an Frauen richtet und lautet: „Du kannst nicht beides haben“. Erstens: Es stimmt nicht. Zweitens: Lebensumstände sind verschieden. Drittens: Indem man ihm anhängt, nimmt man es als naturgegeben hin und versucht erst gar nicht, etwas zu ändern. Viertens: Es wertet, in unserem Fall, alle Künstlerinnen mit Kindern ab. Fünftens: Es tut so, als wären wir stehengeblieben in meiner Jugend, den 1990er-Jahren. Was auch wieder nicht stimmt. Sechstens: Es unterschätzt die Kraft und Energie von Müttern. Siebtens: Es suggeriert ein Bild von dem/der Künstler*in als einsames Genie im Atelier, das sich niemals um Eigen-PR, Student*innen, Atelierbesuche, Ausstellungsarchitekturen, Galerieessen, weiß der Teufel was zu kümmern braucht. Achtens: Es ignoriert völlig, wie sich die existenzielle Erfahrung von Geburt und Mutterschaft positiv, fruchtbar und witzig auf die Kunst auswirken kann. Neuntens: Von sich auf alle anderen zu schließen, das war noch nie besonders schlau. Zehntens: Sollten wir nicht besser Ausschau halten nach Role Models, nach jenen, die Kunst und Mutterschaft eben doch vereinbaren können und konnten, anstatt dieselbe Leier runterzuratschen wie ein altgedienter Funktionär konservativer Prägung, der um jeden Preis Frauenquoten verhindern will? 

Maria Sibylla Merian
Jacob Marrel: Bildnis der Maria Sibylla Merian, 1679 (wikicommons)

Also, hier ein paar erfolgreiche und großartige Künstlerinnen, die Mütter sind oder waren:

Louise Bourgeois, die Schwangerschaft in ihrem Werk verarbeitete und deren Karriere bekanntlich erst – aber das ändert ja nichts – richtig Fahrt aufnahm, als ihre drei Kinder erwachsen waren. Yoko Ono, die einen Sohn und eine Tochter auf die Welt brachte.

Most expensive living female artist: 2 Kids

Die kürzlich verstorbene, so fantastische Bildhauerin Phyllida Barlow, die fünf Kinder hatte (auch mit Arbeitsteilung eine echte Herausforderung) und die erzählte, wie sie aufgrund ihrer nachwuchsbedingten nächtlichen Arbeit zu neuen künstlerischen Wegen fand. Jenny Saville, die ihre Schwangerschaften ebenfalls in ihrer Kunst reflektierte und „most expensive living female artist“ wurde, als ihre Kinder zehn und elf waren. Ihre Malerkollegin Cecily Brown, die wie Saville ein Schwergewicht am Kunstmarkt ist und schon mal offen und ehrlich Auskunft gibt über die Mühen der Vereinbarkeit von Kunst und Mutterschaft.

Louise Bourgeois, „The Reticent Child“, 2005 (Foto: NiS)

Valie Export natürlich, deren Tochter bei ihrer Schwester aufwuchs. Brigitte Kowanz, deren Sohn Adrian sich heute vorbildlich um ihren Nachlass kümmert. Margot Pilz (über die ich, hier eine kleine Werbeeinschaltung, 2021 eine Biografie publizierte). Maria Sibylla Merian, die ihre zweite Tochter Dorothea auf ihre Reise nach Surinam mitnahm, wo diese ihr bei ihren bahnbrechenden Naturstudien half. Sogar die größte Heroine der feministischen Kunstgeschichte, von der sich dieser Blog frecherweise den Namen geborgt hat: Artemisia Gentileschi, die vier Kinder gebar und dennoch erfolgreicher und besser dotiert war als die meisten ihrer männlichen Kollegen. Und es gibt noch so viele mehr.

Misogyner Mythos

Die Vorstellung, dass ein*e Künstler*in seine oder ihre Energie ausschließlich auf die Kunst und sonst rein gar nichts richten kann, ist ein Mythos, der sich letztlich als misogyn entpuppt. Und er ergänzt wunderbar jenen, demzufolge Frauen ihr kreatives Potenzial durch das Gebären quasi verpfeffern. Blöder geht’s ja gar nicht. Daher ist es umso bedauerlicher, wenn sogar solche weiblichen Ikonen der Kunst – ob sie sich nun als feministisch begreifen oder nicht – derlei verzapfen. 

Ja, auch Simone de Beauvoir warnte nachdrücklich vor Mutterschaft. Zu Recht. Doch das Leben ist nicht schwarz oder weiß, mittlerweile haben sich einige Dinge geändert, noch mehr müssen sich ändern. Bis es soweit ist: Feiern wir die vielen Künstlerinnen, die trotz, mit und vielleicht sogar wegen Kindern erfolgreich sind!

Margot Pilz, Hausfrauendenkmal, 2020, KISS, Kunsthalle Wien (c) Helmut Prochart

4 comments

  1. Danke für diesen wichtigen und spannenden Artikel!
    Es ist leider noch immer schwer als Künstlerin Mutterschaft und Kunst unter einen Hut zu kriegen. Bei vielen Galeristen hat man noch immer das Gefühl lieber nicht zu erwähnen, dass man Kinder hat. Auch auf Vernissagen findet man männliche Künstler mit kleinen Kindern um die Beine charmant, während man als Frau besser darauf achtet, bei er Eröffnungsrede die Kinder gesittet zu kriegen.
    Artist in residency mit Kind oder Kindern ist fast nicht möglich. Es muß mehr Sichtbarkeit für das Thema „Motherhood“ geben.
    liebe grüße
    Susanna Schwarz
    PS.: Das war unsere Ausstellung in Berlin. Wir hoffen auch in Wien und anderen Städten Raum dafür zu finden.
    https://hilbertraum.org/2023motherhood1

  2. Ich habe gerade mit einigen Künstlerinnen eine Ausstellung zum Thema ‚concepts of motherhood‘ in Berlin initiiert. Wir hatten eine riesige Resonanz dort. Viele Künstlerinnen sind gekommen, die unter der Diskriminierung als ‚Kunst Mütter‘ leiden und haben von ihren Erfahrungen berichtet. Die misogyne Haltung, dass Mutterschaft und Kunst unvereinbar wären ist leider immer noch ein starkes Thema.
    Es ist hoch an der Zeit dieses Tabu endlich zu brechen und darüber zu sprechen…
    Danke für den Artikel!
    Liebe Grüße
    Stella Bach

    1. Danke für den Hinweis auf die Ausstellung – konnte sie leider nicht sehen, aber wichtig und gut, dass die Thematik auch in einer Ausstellung angesprochen wird.

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