In Feierlaune, aber unzufrieden

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Ehrlich gesagt: Eine halbe Dekade hätte ich mir nicht gegeben. Dass artemisia.blog mehr als ein, zwei Jahre läuft, wundert mich selbst ein wenig. Zwar wäre eine höhere Beitragsfrequenz wünschenswert, aber das Erwerbsleben kommt oft dazwischen.

Ausstellungsansicht Stone Telling
Ausstellungsansicht „Stone Telling“, Kunstraum Niederösterreich, 2019, im Vordergrund: Zsófia Keresztes, „Totem of Hidden Accounts“, 2018 Foto: (c) Eva Würdinger

Was geschah, seit dieser Blog am 7. September 2018 online ging? Die Corona-Pandemie warf viele Mütter in alte Rollen zurück. Die österreichische Frauenministerin sagte, dass sie keine Feministin sei. Demokratiefeindliche Mobs erstürmten den Berliner Reichstag und das Kapitol. In drei österreichischen Bundesländern regiert die FPÖ mit, was grundsätzlich eine schlechte Nachricht für Frauen ist. In zwei davon soll es bald „Herdprämien“ geben. Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, kämpfen mit Hate Speech und gar Todesdrohungen. In weiten Teilen der USA dürfen Schwangere nicht mehr über ihren Körper bestimmen. In Afghanistan ergriffen die Taliban die Macht und unterdrücken Frauen unvorstellbar brutal. Der Fight zwischen klassisch feministischen und queeren Anliegen hat sich verschärft. Worüber naturgemäß das Patriarchat am meisten Freude hat.

Und was wurde aus den Themen, die artemisia.blog brachte? Hier ein kleiner Rückblick.

„Fehlende Statue“

Einer der ersten Beiträge trug den Titel „Fünf Avantgardistinnen, die ich gern in Wien sehen möchte“. Keine einzige davon hatte in der Zwischenzeit eine Soloshow, obwohl eine solche wahrscheinlich gestürmt würde. Auch nichts weitergegangen ist bei der Forderung von zwei Politikerinnen in Padua 2021, die eine einzige weibliche Statue auf einem zentralen Platz der Stadt aufstellen wollen, an dem bisher 78 Männer in Stein verewigt sind. Erst kürzlich tauchten in der Stadt über Nacht Plakate mit dem Aufdruck „Statua scomparsa“ („Fehlende Statue“) auf. Ebenso wenig erhörte die Stadt Wien die Forderung, eine Straße nach Friedl Dicker-Brandeis zu benennen – dafür eröffnete man 2021 den Herwig-Zens-Platz mitten in der Innenstadt. Keine Ahnung, wer dafür zuständig ist – wohl niemand, der oder die eine Ahnung von Kunstgeschichte hat.

Aber kommen wir zum Positiven.

Mehr Frauen in Galerien

Zum Beispiel dem Anteil weiblicher Soloausstellungen in Österreichs Galerien. Dieser erhöhte sich von 38,5 auf 42,8 Prozent, und das in zwei Jahren! Wenn es gelänge, den Gender Pay Gap in ähnlichem Tempo zu schließen, dann wäre die ökonomische Gleichstellung in zumindest greifbarer Nähe (also so, dass ich sie vielleicht noch erlebe). 

Langsam, sehr langsam scheint sich auch am Sekundärmarkt etwas zu tun. Noch im November 2019 beklagte artemisia.blog den nur dreiprozentigen Anteil an Losen in einer Dorotheums-Auktion – wofür das Auktionshaus nichts kann, denn es bildet einfach den Markt ab. Dieser ist nicht nur in Wien, sondern international nicht freundlich zu den Frauen.

Mehr Frauen in Auktionen

Ein wenig dreht sich das aber. Die Plattform Artsy wertete Datenmaterial aus, und dieses zeigte einen immerhin leichten Anstieg am Anteil von Künstlerinnen in Auktionen: Lag der Umsatz von Künstlerinnen-Lots von 2012 bis 2022 bei 6,08 Prozent, so stieg er 2022 auf 9,39 Prozent. Gleichstellung ist freilich weit entfernt, und wahrscheinlich wird sie über alle Sparten hinweg nie eintreffen, schon historisch bedingt. Eine neue Entwicklung könnte übrigens weiteren Drive bringen: In der Sparte der Alten Meister*innen korrigieren die Expert*innen nicht selten Fehlzuschreibungen an Männer – wie in diesem Beitrag von April beleuchtet.  

Zugeschrieben an Giovanna Garzoni Schätzwert: EUR 25.000,- bis EUR 35.000,- (Ascoli Piceno 1600–1670 Rom) Pfirsiche, Pflaumen, Kirschen, Rosen und weitere Früchte in einer metallenen Schale auf einem Steinsims, Tempera auf Velin, auf Holz aufgezogen
Giovanna Garzoni (zugeschrieben): Pfirsiche, Pflaumen, Kirschen, Rosen und weitere Früchte in einer metallenen Schale auf einem Steinsims, Tempera auf Velin, auf Holz aufgezogen (c) Dorotheum

Die feministische Sammlung Verbund, in der so viele großartige Künstlerinnen vereint sind, wurde noch bekannter. Die Leiterin Gabriele Schor, die in einem Interview vom 6. November 2018 unter anderem über den von ihr geprägten Begriff „Feministische Avantgarde“ erzählte, bekam mittlerweile die Ehrenprofessur – völlig zu Recht!

Und viele fantastische Künstlerinnen

Zahlreiche Künstlerinnen feierte artemisia.blog, der ja auch ein dezidiertes Fanzine ist, in den vergangenen fünf Jahren für feministische Arbeiten ab – und viele von ihnen können nun die Ernte für ihr konsequent betriebenes Werk einfahren. Zum Beispiel Zsófia Keresztes, die der Kunstraum Niederösterreich 2019  zeigte und die 2022 mit ihren Keramikskulpturen das Publikum der Biennale Venedig beeindruckte. Ebenso Soli Kiani, auf die ich 2020 in einer Ausstellung bei Sotheby’s Wien aufmerksam wurde und deren unter die Haut gehende Arbeiten seither unter anderem im Kunstforum Wien zu sehen waren. Auch Christiana Perschon, die im November 2018 ihren großen Film „Sie ist der andere Blick“ vorstellte – 2019 räumte er einen Preis der Diagonale ab, 2022 erhielt Christiana den Österreichischen Kunstpreis für Filmkunst. Anna Meyer, deren fantastischer Zyklus „Futurefeminismus“ am 5. März 2019 hier vorgestellt wurde, kann sich mittlerweile über einen Ankauf freuen: Das Belvedere erwarb die Arbeit kürzlich.

Installationsansicht Haus am Lützowplatz Berlin, 2021, Fotos:Trevor Good
Mittlerweile im Belvedere, Wien: Anna Meyers „Futurefeminismus“, seit 2007, Installationsansicht Haus am Lützowplatz Berlin, 2021, Foto: Trevor Good

Und Margot Pilz, als deren Biografin ich mich bezeichnen darf, hatte eine großartige Ausstellung in der Kunsthalle Krems samt super medialer Berichterstattung. Dass es so tolle Künstlerinnen gibt, die dezidiert in einem feministischen Kontext arbeiten und damit Erfolg haben: Das kann uns zuversichtlich stimmen. 

Margot Pilz in ihrer Ausstellung "Sassy Sequences", Galerie3, Klagenfurt (Foto: Johannes Puch)
Margot Pilz in ihrer Ausstellung „Sassy Sequences“, Galerie3, Klagenfurt (Foto: Johannes Puch)

Danke!

Danke an all meine Interviewpartnerinnen, an die vielen Künstlerinnen, die mir ihre Ateliers öffneten und ihre Ausstellungen erläuterten – und natürlich an meine Abonnentinnen und ihre ermunternden und inspirierenden Kommentare! Ich freue mich, wenn ihr artemisia.blog treu bleibt, ihn weiterempfehlt – und über Feedback und Anregungen. 

Denn: Gründe zum Feiern gibt es sehr wohl, Gründe zur Zufriedenheit keineswegs. Wie seht ihr das? Und welche Aussichten haben wir? Schreibt mir doch! Entweder als Kommentar hier unten – oder per mail: Nina.schedlmayer[at]chello.at.

Christiana Perschon
Wie sind die Aussichten? Renate Bertlmann, in: „Sie ist der andere Blick“, Christiana Perschon, A, 2018, © Viennale

9 comments

  1. Liebe Nina, so gerne lese ich deinen Blog und empfehle ihn regelmäßig weiter! Danke dir! Gleichzeitig wird er hoffentlich irgendwann in näherer Zukunft nicht mehr so dringlich notwendig sein wie momentan…

  2. Wie schön wäre doch ein Betrha-von-Suttner-Platz statt Dr.-Karl-Lueger-Platz. Meine Forderung nach wie vor: Bertha statt Karl!

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