Fliegende Körper und schweinische Selbstporträts

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In Zusammenhang mit ihren Body-Awareness-Paintings sprach Maria Lassnig einmal über ihren „Hang, das Unmögliche zu wollen“: nämlich „über das Können, das sichere Reale hinauszugehen in ein undefiniertes Neuland – ein Körpergefühl ist optisch schwer zu definieren, wo fängt es an, wo hört es auf, welche Form hat es, spitzig, rund, gezackt.“ Dieses zu erforschen sei „wie ein Umzäunen von Wolken, ein Feststecken von Nebelreichen, eine Mystik des Physischen.“ Welche Formen die Körpergefühle annehmen können, welche Mystik von ihnen ausgehen kann, das zeigt gerade eine sehr sehenswerte Ausstellung in der Alba Gallery. „Female Recollection“ heißt sie, und mit Barbara Hammer, Florine Imo, Maria Lassnig und Selma Selman vereint sie vier großartige Künstlerinnen unterschiedlicher Generationen.

Ansicht Ausstellung "Female Recollection", im Vordergrund: Maria Lassnig, "Shapes", 1972 (Foto: Kunstdokumentation.com, Manuel Carrion Lopez)
Ansicht Ausstellung „Female Recollection“, im Vordergrund: Maria Lassnig, „Shapes“, 1972 (Foto: Kunstdokumentation.com, Manuel Carrion Lopez)

„Female Recollection“

Kuratiert haben Barbara Pretterhofer und Eva Haberfellner von der Alba Gallery, Kunsthalle-Wien-Kuratorin Aziza Harmel schrieb einen klugen Begleittext

Am Anfang von „Female Recollection“ steht eine Collage von Barbara Hammer, der großartigen US-Filmemacherin (ihre fantastische Ausstellung in Wien 2021, kuratiert von Fiona Liewehr, wurde hier besprochen). In dieser Arbeit stürzt, eingespannt in ein ornamentales Gerüst, ein nackter weiblicher Körper, Kopf nach vorne gereckt, von oben nach unten – oder fliegt er? Eine Zeile maskenartiger Gesichter versperrt den Weg zum Boden. Die schräge Perspektive, in der die Künstlerin diese Figur zeigt, findet ihr Echo in einer Lithografie von Lassnig, einem „Selbstbildnis“ von 1974. Darin kombiniert sie einen Beckenknochen mit einer Ansicht von Beinen aus den Augen der Zeichnenden selbst (wie in dem berühmten Bild von Ernst Mach, auf das sie sich auch anderswo bezog, wie es der Kunsthistoriker Rainer Metzger hier genauer fokussierte). 

Maria Lassnig, "Selbst als Torte", 1993 (Foto: Alba Gallery)
Maria Lassnig, „Selbst als Torte“, 1993 (Foto: Alba Gallery)

Torten- und Vaginaselbstporträts

Wie Aziza Harmel schreibt, erforschen die Arbeiten der Künstlerinnen der Ausstellung „weibliches Gedächtnis, Metamorphosen und Selbstdarstellung als Werkzeug, die Beziehung zwischen der im Körper eingeschrieben Geschichte und dem Geschlecht.“ In den schablonenartigen Figuren des Trickfilms „Shapes“, in ihren Selbstporträts – als Torte oder mit Sperling – transformiert und überformt Lassnig diese Beziehung lustvoll. In „Female Recollection“ finden diese Arbeiten ihre kongenialen Gegenüber in den fantastischen Zeichnungen der bosnischen Künstlerin Selma Selman, die ihr Selbstporträt in verschiedenen Metamorphosen weiterdenkt: In „Self Portrait – Sleep Guards“ erscheint sie mehrfach, wie ein Blumenstrauß arrangiert. In „Self Porträt (Pig)“ als Schwein, das nur noch die langen schwarzen Locken mit ihr gemein hat. In „Self Portrait (Pussy)“ trägt sie die Vagina mitten im Gesicht. Hermal sieht darin eine Schutzfunktion ihrer Identitäten vor jenen Kräften, die diese „festnageln wollen.“ 

Ansicht Ausstellung "Female Recollection",
Ansicht Ausstellung „Female Recollection“, im Vordergrund: Selma Salman, „Self Portrait (Pussy)“ und „Self Portrait (Tarzan)“ Foto: Kunstdokumentation.com, Manuel Carrion Lopez

Das tut auch Barbara Hammer in ihrem Film „I was/I am“ (1973). Darin tritt sie in unterschiedlichen Rollen auf – einmal wie eine Priesterin, in einem weiten Gewand, über dem ein runder Spiegel hängt; dann wieder nur mit Ketten und Gürteln bekleidet unter einer von der Decke baumelnden Schreibmaschine. Dazu ertönt der sehr, sehr langsam gesprochene Satz: „A woman is not committed to the natural chronology of her experience. on the contrary, she has access to all her experiences.“ Eine Aufforderung, biologistische Zuschreibungen zu sprengen und persönliche Potenziale umfassender auszuschöpfen.

Barbara Hammer
Barbara Hammer, „I was / I am“, 1973 (Foto: Alba Gallery)

Gesten gegen K.O.-Tropfen

Eine mir bis dato unbekannte Künstlerin ist Florine Imo, die mit zwei Gemälden in „Female Recollection“ vertreten ist. Auf einem davon stehen zwei Frauen an einer Bar, eine von ihnen hält ihre Hand über ihrem Drink, eine Anspielung darauf, dass sich junge Nachtschwärmerinnen vor K.O.-Tropfen schützen müssen: Sexualisierte Gewalt hat ihren Niederschlag gefunden in alltäglicher Gestik.

Florine Imo, "Safety precaution", 2023 (Foto: Alba Gallery)
Florine Imo, „Safety precaution“, 2023 (Foto: Alba Gallery)

Über all das legt sich der Sound einer Videoarbeit von Selma Selman, in dem die Künstlerin in einem neongelben Kleid in Washington durch die Straße geht und unentwegt einen Satz schreit: „You have no idea“. Das Schreien ist enervierend, soll es auch sein. Im Kontext dieser Ausstellung lässt sich die Aussage auch programmatisch lesen: als Kommentar auf eine Haltung, die ignorant ist gegenüber anderen – weiblichen – körperlichen Erfahrungen. 

Ausgerechnet das prominenteste Kunstwerk – die Maria-Lassnig-Kantate – hat am wenigsten inhaltliche Anbindung an das Thema der Ausstellung. Dennoch: Man sieht sie immer wieder gern. Und auch abgesehen davon: nachdrückliche Empfehlung! 

Ansicht Ausstellung "Female Recollection“ (Foto: Kunstdokumentation.com, Manuel Carrion Lopez)
Ansicht Ausstellung „Female Recollection“ (Foto: Kunstdokumentation.com, Manuel Carrion Lopez)

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