Ein Massaker an 47.000 Frauen

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In seiner Weihnachtsbotschaft sagte der Papst: „Wie viele Massaker an Unschuldigen es in der Welt gibt: im Mutterleib; auf den Routen der Verzweifelten, die auf der Suche nach Hoffnung sind; im Leben so vieler Kinder, deren Kindheit vom Krieg zerstört wird.“ Ich glaube nicht, dass der Papst Laia Abril kennt.

Laia Abril, „Coathanger“, aus dem Zyklus „On Abortion“, 2016

Das „Massaker an den Unschuldigen in der Welt“, das er als erstes nannte, noch vor den Opfern von Krieg und Vertreibung, ist also die Abtreibung. Die unglaubliche Bösartigkeit der katholischen Kirche gegenüber Frauen, die abtreiben, ist bekannt. Sähe Franziskus, der sich so gern als sozial und progressiv darstellt, die aktuelle Ausstellung von Laia Abril im Fotoarsenal Wien, müsste er jenes Massaker zur Kenntnis nehmen, das im Kontext von Schwangerschaftsabbrüchen tatsächlich geschieht, Tag für Tag, Stunde für Stunde. Es ist ein Massaker an 47.000 Frauen jährlich. So viele sterben weltweit an den Folgen stümperhaft durchgeführter, illegaler Schwangerschaftsabbrüche. Auf allen Kontinenten verfolgt man Frauen, die abtreiben wollen, strafrechtlich, sperrt sie ein, ächtet sie – und tötet sie: durch eine Gesetzgebung, die ein medizinisch watscheneinfaches Verfahren verbietet.

Laia Abril, "Coathanger", aus der Serie "On Abortion", 2016
Laia Abril, „Illegal Abortion Instruments“, aus dem Zyklus „On Abortion“, 2016

Zitronen als Verhütungsmittel

Darüber erzählt die spanische Fotokünstlerin Laia Abril, geboren 1986. Sie arbeitet an einem mehrere Kapitel umfassendem Werkkomplex mit dem Titel „A History of Misogyny“. Er umfasst mehrere Kapitel, das erste heißt „On Abortion“. Das Fotoarsenal zeigt diesen Zyklus aus 120 Fotografien, Videos und Installationen („Laia Abril. On Abortion“, bis 10. März). Das Projekt, so erzählte Laia Abril bei einem Presserundgang, hatte seinen Ausgangspunkt im Wiener Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch. Von dort stammen auch einige der Objekte, die Laia Abril wie in naturwissenschaftlichen Aufnahmen, kühl und klinisch, inszeniert hat, darunter: „Verhütungsmittel“ in Form von Fischblasen- oder Schafsdarmkondomen sowie von Zitronen, die Frauen sich in die Vagina schoben (wie auch immer das funktionieren soll). Instrumente zur Abtreibung – Zangen, Scheren, Spekula, Klistierspritzen. Ein Haufen spitzer Stäbchen, die eine Frau aus ugandischen Hauptstadt Kampala in ihrem Körper trug. Eine Abbildung, die das sogenannte „Stricknadelverfahren“ illustriert. Allein bei dem Wort verkrampft sich mein Körper.

Laia Abril fokussiert Teilaspekte ihres Themas mit unterschiedlichen fotografischen und künstlerischen Mitteln. An einer Wand zieht sie große Reproduktionen von Inseraten auf, mit denen Ärzt:innen im frühen 20. Jahrhundert verklausuliert ihre Unterstützung beim Schwangerschaftsabbruch bewarben. Sie finden ihr Echo weiter hinten im Ausstellungsraum, in ähnlichen Inseraten – allerdings aus der Gegenwart. 

Laia Abril, Installation Foto Arsenal Wien, aus dem Zyklus "On Abortion", 2016
Laia Abril, aus dem Zyklus „On Abortion“, 2016, Installation Foto Arsenal Wien, (Foto: NiS)

Ans Bett gekettet

Oft lässt Laia Abril Text und Bild in einen Dialog treten. Fotoessays mit begleitenden Erzählungen von betroffenen Frauen schildern Leid, Zweifel, aber auch Erleichterung. Magdalena, 32, kommt aus Polen, deren Regierung Abtreibungsrechte cancelte, und bringt ihre traumatisierende Erfahrung so auf den Punkt: „It was the hardest experience in my life. I am a different person now. And I am proud of myself.” Am Anfang dieser Arbeiten steht stets ein selbstbewusstes Porträt der Erzählenden, darauf folgen illustrierende Fotos, die jedoch unspektakulär sind: Küchen, Spitäler, Stiegenhäuser. Wer in diese Geschichten eintaucht, erlebt ein Wechselbad der Gefühle – darunter durchaus positive, etwa, wenn Magdalena erzählt, wie ihre Freundin sie umsorgte. Bei mir dominierte freilich die Wut: Wie kann es sein, dass männliche Politiker eine junge Frau wie Magdalena zwingen, sich Tabletten vom Schwarzmarkt reinzuzischen, fürchterliche Blutungen sowie entsetzliche Schmerzen durchzustehen und anschließend im Spital lügen zu müssen, um dort überhaupt eine Behandlung zu bekommen? 

Laia Abril, "Hippocratic betrayal and obstetric violence", aus der Serie "On Abortion", 2016
Laia Abril, „Hippocratic betrayal and obstetric violence“, aus dem Zyklus „On Abortion“, 2016

Überhaupt: Wie kann es sein, dass in den USA heute wieder Zustände herrschen, wie wir sie uns vor zehn Jahren nicht einmal in den schlimmsten Alpträumen ausgemalt hätten? Dass dort selbst Minderjährige nach Vergewaltigungen Kinder austragen müssen? Besonders schlimm, so zeigt die Ausstellung, ist die Lage in afrikanischen Ländern, aber auch in Süd- und Zentralamerika, beispielsweise in El Salvador. Dort droht Anklage wegen Mordes. Das zeigt die tragische Geschichte einer Frau namens Manuela. Sie erlitt eine Fehlgeburt, ging ins Spital, wurde dort der Abtreibung verdächtigt und an ihr Bett gekettet. Schließlich verurteilte sie ein Gericht wegen Mordes zu 30 Jahren Gefängnis – wo sie 2010 an den Folgen der Fehlgeburt starb. Sie hinterließ zwei Kinder. (Das Foto oben bezieht sich aber auf einen anderen Fall in Brasilien, wo eine andere Frau in ihrer Liegestatt mit Handschellen gefesselt wurde.)

Was sagt ihnen der Papst?

In Laia Abrils Ausstellung gibt es viel zu sehen, viel zu lesen. Schließlich hat das Thema hat viele Aspekte. Auch die Scheinheiligkeit der Kirche stellt Laia Abril heraus, mit dem Foto eines Beichtstuhls (großzügigerweise dürfen Frauen, die abgetrieben haben, beichten). Ebenso die Gefahr, in die sich Helfer:innen begeben, ebenso Spitäler, die Abtreibungen vornehmen. Das wahre Massaker erleiden jene, die keinen Zugang zu sicherem Schwangerschaftsabbruch haben: Es umfasst 47.000 Tote pro Jahr. Was sagt der Papst ihren Eltern, Geschwistern, Freund:innen, ihren Männern, Frauen und Kindern? 

Installation Foto Arsenal Wien,
Laia Abril, aus dem Zyklus „On Abortion“, 2016, Installation Foto Arsenal Wien (Foto: NiS)

Doch es gibt auch gute Nachrichten. Argentinien legalisierte die Abtreibung 2020. Polen hat eine neue Regierung. Die katholische Kirche verliert an Einfluss. Und Künstlerinnen wie Laia Abril werden nicht müde, engagiert und mit hoher ästhetischer Überzeugungskraft die Unterdrückung von Frauen durch menschenverachtende Abtreibungsverbote und scheinheiligen Moralismus anzuprangern.  

Laia Abril, "Boiling bath, tooth and superstition", aus der Serie "On Abortion", 2016
Laia Abril, „Boiling bath, tooth and superstition“, aus dem Zyklus „On Abortion“, 2016

5 comments

  1. Ich habe mir diese Ausstellung aufgrund Ihrer Empfehlung angesehen. Schon seit den 70er Jahren bin ich eine vehemente Verfechterin der Legalisierung der Abtreibung und entsetzt über neuere politische Entwicklungen. Das Recht auf sichere und legale Abtreibung ist ein Menschenrecht. Diese Ausstellung ist überaus Augen öffnend und umfangreich in Zusammenhang mit der Machtausübung des Patriarchats.

    1. Vielen Dank für Ihre Nachricht! Einerseits freue ich mich, dass artemisia.blog Sie zum Ausstellungsbesuch angeregt hat. Andererseits bleiben die Zustände, wie Sie schreiben, entsetzlich. Ich habe Hoffnung, dass in Polen dieses Gesetz repariert wird, doch dort muss man erst wieder demokratische Strukturen instand setzen. Was in Österreich unter einem „Volkskanzler“ droht, kann man sich in den schaurigsten Farben ausmalen. Gerade las ich über die großartige Künstlerin Hannah Höch (1889-1978): Auch sie setzte sich schon für das Menschenrecht auf Abtreibung ein. In den 1920er-Jahren!

  2. Vielen Dank für den spannenden Text. Ich habe beim Lesen richtig gespürt, wie wütend Sie sind – schön, das mal ganz unverfälscht mitzubekommen! Die Ausstellung werde ich mir jedenfalls ansehen; aus den Fotos zu schließen, schafft es Abril, mit Andeutungen viel Effekt zu erzielen.

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