Heldinnen von heute

Veröffentlicht von

„Sieh meine Hände, sie verraten mich. / Ich trotze der Schüchternheit, der Gegenwart. / Ich lasse mich sehen. / Hier bin ich. Ich bin es, nur ich.“ Der Text, jeder Satz eine Zeile, hängt groß gedruckt in einem Rahmen. Darüber: ein Porträtfoto ihrer Verfasserin – einer schmalen Frau mit rötlichem Haar, die Finger ineinander verschränkt, in einer Geste, die ein bisschen an Schiele erinnert (aber wahrscheinlich nur Wienerinnen). 

Lena Rosa Händle
Ester Aguado Izquierdo, aus „Fürsorge ist Revolutionär“, Lena Rosa Händle, 2018 (c) Lena Rosa Händle

Studio Visits

Es ist die Krankenschwester Ester Aguado Izquierdo, eine von zehn Frauen, die Lena Rosa Händle in ihrer Arbeit „Fürsorge ist Revolutionär“ porträtierte. Als sie im Vorjahr eine Residency, gefördert vom weissen haus und Orbital, in Nordspanien, in Kantabrien, hatte, lud sie diese in ihr Studio ein.

Die Arbeit, momentan gerade auf der FOTO WIEN zu sehen, funktioniert auf mehreren Ebenen: zunächst sind da die Fotoporträts, für die sich Händle und ihre Porträtierte jeweils lange Zeit nahmen. Dann der Text, ein Schriftbild, das unter dem Foto hängt und von den Frauen nach der Session verfasst wurde, als sie ihre Porträts betrachteten. Und schließlich ein weiterer Text, kurze Absätze, in denen die Künstlerin selbst die Begegnung schildert und über das Leben der Frauen erzählt. Die Texte der Porträtierten stehen in deren Muttersprache, spanisch, da, mit deutscher Übersetzung. „Diese Textebene finde ich ganz wichtig“, erzählt Lena Rosa Händle. „es wird deutlich, welche Sprache die Frauen benutzen, und ich mache dadurch eine weitere Perspektive auf. Ich fand es wichtig, die Texte auf Spanisch zu lassen.“ 

Lena Rosa Händle
Fürsorge ist Revolutionär, FOTO WIEN, Office Shows, Festivalzentrale, 2019 (c) Lena Rosa Händle

Unter Franco im Gefängnis

Es sind beeindruckende Ladies, die Lena Rosa Händle hier versammelt hat. Die schüchterne Ester Aguado Izquierdo zum Beispiel, die eine, wie wir erfahren, „sehr unabhängige Beziehung mit ihrem Partner“ führt. Amparo Echevarria, die Haushälterin der Residency, die mit wachem Blick in die Kamera schaut, beobachtend, und die ihren Mann verließ, als ihre Kinder noch klein waren. Oder, mein persönliches Highlight: Marta Peredo, eine Frau Anfang 80, die ihrer Gastgeberin ein Sackerl mit einem Aufdruck von Rosa Luxemburg mitbrachte. „Aus den Tiefen einer unermesslichen Traurigkeit bahnt sich mein mutiger Charakter seinen Weg und schimmert durch meinen Gesichtsausdruck hindurch“, schrieb sie. Unter Franco war Peredo übrigens inhaftiert, weil sie sein Regime bekämpfte. Bis heute ist sie Aktivistin und geht auf Demos.

Lena Rosa Händle
Marta Peredo, aus „Fürsorge ist Revolutionär“, Lena Rosa Händle, 2018 (c) Lena Rosa Händle

Mapping the Studio

Es ist wie ein Gang durchs Studio, wie eine Vermessung. So steht man einmal am Dach, dann sitzt man im Wohnzimmer oder im Garten. Die Orte, an denen die Frauen fotografiert wurden, suchten sie gemeinsam mit der Künstlerin aus. So zeigen die Bilder auch etwas von dieser temporären Lebenswelt, in der Künstlerinnen und Künstler ein- und ausziehen.

Allen Frauen ist gemeinsam, dass sie sich um andere Menschen kümmern, entweder aktivistisch oder im Sinn der Care-Arbeit. Daher auch der Titel, der aus einem Text der ebenfalls porträtierten Philosophin und Journalistin Patricia Manrique stammt. Durch die sprachliche Ebene entsteht zudem in vielen Fällen eine Selbstreflexion, eine Selbstvergewisserung – etwas, das wegführt von den anderen, um die man sich kümmert, hin zu einem selbst. Und von dort aus wieder zurück, zur Gesellschaft, zum Feminismus.

Lena Rosa Händle
Fürsorge ist Revolutionär, FOTO WIEN, Office Shows, Festivalzentrale, 2019 (c) Lena Rosa Händle

Als letzte sieht man Nieves Gutiérrez Ganza, lässig an die Balkonbrüstung gelehnt. Alleinerzieherin, Krankenschwester, Physiotherapeutin, Feministin und Anarchistin, „seitdem sie denken kann“, wie Lena Rosa Händle schreibt. Ihre Worte verdichten fast poetisch, worum es hier geht: „Die Hände geschlossen, an das Leben geklammert, als hielten sie einen Kessel voller feministischer Forderungen und menschlicher Würde; niemals bereit, ihn loszulassen.“

Queer-feministisch

Die Arbeit ist ein Nachfolgeprojekt einer anderen Serie. Darin porträtierte Lena Rosa Händle queer-feministische Künstlerinnen in New York: „I (We) Feel Seen“. In der VBKÖ war sie schon einmal zu sehen, aktuell ist sie gerade im rotor in Graz ausgestellt. Mich bewegte die Geschichte von zwei alten Frauen, die seit 30 Jahren zusammenleben, auf dem Foto zärtlich einander die Hände haltend. Eva Kollisch, 1925 in Baden geboren, per Kindertransport emigriert, später in den USA als Schriftstellerin und Literaturprofessorin tätig, mit ihrer Partnerin Naomi Replansky, ebenfalls Autorin und Programmiererin.

I (We) Feel Seen, Soho in Ottakring, 2018 (c) Lena Rosa Händle

Weitere Serien an anderen Orten sind übrigens in Planung. 

FOTO WIEN, Postsparkasse, Office Shows, noch bis 6. April.; Gespräch mit Lena Rosa Händle vor ihren Arbeiten am 3. April, 18 Uhr

Open Studio in das weisse haus, 6. April, 14-17 Uhr

„Wir Frauen werden es uns nicht nehmen lassen, für unsere Rechte zu kämpfen!“, rotor, Graz noch bis 25. Mai


Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.